SWR2 Wort zum Tag

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„Da ist doch jegliches Maß verloren gegangen", so kann man manchmal in Debatten hören. Oder: „Die Arbeitnehmer akzeptieren eine maßvolle Lohnerhöhung", oder auch dass das Maß voll ist - es ist im Alltag ganz schön oft vom Maß die Rede.
Das Maß, klassisch „temperantia", ist eine der so genannten „Kardinaltugenden". Der Vierklang aus Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß stammt ursprünglich aus der griechischen Philosophie, spielte dann aber in der Geschichte der christlichen Lehre eine sehr wichtige Rolle.
Dem gegenüber stehen klassischerweise die sieben so genannten „Todsünden", von denen die Gier das genaue Gegenstück zum Maß ist. Bei Gier und Maß komme ich nicht umhin an die internationale Finanzwirtschaft zu denken. So oft wurde dieses Thema schon in den Medien behandelt, wurden Hedgefonds und Heuschrecken, skrupellose Spekulation angeprangert und dass sich die Finanzwelt total von der Realwirtschaft abgekoppelt hat. Und doch sind sich die Experten einig: Es hat sich nichts Wesentliches verändert, auch nicht nach der großen Finanzkrise, die bis vor zwei Jahre die ganze Welt erschreckte und verängstigte. Die Wirtschaft in unserem Land hat sich inzwischen wieder erholt, was aber in einigen anderen Ländern Europas los ist, wissen wir alle aus den aktuellen Nachrichten. Noch weiter zugespitzt hat sich die Lage in den armen Ländern der Erde, wo die Nahrungsmittelpreise so stark gestiegen sind, dass der täglich Kampf ums Überleben für viele Millionen von Menschen fast aussichtslos wird. Und hier fällt nun wieder der Blick auf die Finanzmärkte und die Frage nach Maß und Gier: In den letzten Jahren ist es zum Riesen-Geschäft geworden, mit Nahrungsmitteln wie Mais, Reis oder Weizen an den Börsen zu spekulieren. Banken, Versicherungen, Aktienfonds gehen immer mehr in dieses lukrative Geschäft, weil die Gewinnspannen so groß sind. Da geht es zu wie beim Monopoly spielen. Nur: Mit Essen spielt man nicht! Wenn es nur noch um schnelle Gewinne geht und das Schicksal der Schwächsten nichts mehr zählt, dann ist das Maß voll. Dann ist wirklich jedes Maß abhanden gekommen. Hier wird deutlich: Die Kardinaltugend des Maßes ist keine verstaubte Idee, die uns heute nichts mehr zu sagen hat. Ich meine, dass diejenigen, die in der Politik und Wirtschaft verantwortlich sind, aber auch alle normalen Bankkunden die Stimme erheben müssen gegen die Zockerei mit Nahrungsmitteln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13839
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