Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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für den Lebensretter

Der Unfall hätte tödlich enden können, damals am 1. August 1976 auf der berühmten Nordschleife des Nürburgrings. Ein Formel-1 Wagen prallte gegen eine Böschung. Er wurde auf die Rennstrecke zurück geschleudert und stand sofort in Flammen. Ein nachfolgender Rennfahrer hielt an, lief auf den brennenden Wagen zu und zog mit bloßen Händen den Verletzten aus der Gefahrenzone. Es war der Italiener Arturo Merzario, der seinem Fahrerkollegen Niki Lauda mit dieser mutigen Tat das Leben rettete. Nur wenige Wochen nach dem dramatischen Ereignis fuhr der noch nicht ganz genesene Niki Lauda in Monza schon wieder ein Formel-1 Rennen. Auch sein Lebensretter war wieder dabei. Für Lauda wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, sich bei dem Mann zu bedanken, der für ihn buchstäblich durchs Feuer gegangen war. Aber Niki Lauda bedankte sich nicht. Er sprach seinen Lebensretter nicht einmal an. Das ist, auch fast vier Jahrzehnte später, kaum zu begreifen. Wenn Niki Lauda heute nach dieser Geschichte gefragt wird, redet er sein damaliges Verhalten nicht schön. Aber er versucht es zu erklären. Und zwar so: „Wenn ich ein Risiko eingehe, muss ich jede Störung, zum Beispiel, mich zu vermenschlichen, verhindern." Bei diesem ersten Rennen nach seinem Unfall konnte er daher nicht zu seinem Lebensretter sagen: „Arturo, ich muss mich bei dir bedanken. Du hast mir vor ein paar Wochen das Leben gerettet". Das wäre nämlich ein Zeichen von Menschlichkeit gewesen. Es hätte ihn auch daran erinnert, wie verwundbar er ist. Und das hätte ihn möglicherweise den Sieg gekostet. Ich muss zugeben: Es fällt mir schwer, diese Logik zu begreifen. Vielleicht will ich auch gar nicht verstehen, dass Kampf und Konkurrenz einen solchen Stellenwert haben können, dass die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt. Der menschliche Umgang miteinander darf nie unter die Räder kommen, weder bei der Formel 1 noch sonst wo im Leben. Risikobereitschaft und der Wille zum Erfolg sind gut und schön, aber sie dürfen nicht alles andere verdrängen. Auf keinen Fall die Fähigkeit, menschlich miteinander umzugehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13732
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