SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es gab Zeiten, da habe ich geglaubt wie Leonie:
Leonie, 6 Jahre alt, faltet abends die Hände und betet in großer Selbstverständlichkeit: „Lieber Gott, bitte lass morgen die Sonne scheinen!" Sie hat wichtige Gründe für ihre Bitte. Heute freut sie sich darauf, Rad zu fahren. Morgen wird es ziemlich sicher um das Grillen mit Oma und Opa gehen. Und gestern wollte sie einfach nicht, dass der Hase nass wird und friert.
Leonie wird in dem kindlichen Vertrauen einschlafen: Das klappt! Warum auch sollte Gott angesichts solch schwerwiegender Argumente morgen nicht die Sonne scheinen lassen? Also wird sich Leonie nach vollbrachtem Abendgebet ganz beruhigt an ihren Stoff-Teddy und irgendwie auch an Gott kuscheln und einschlafen.
Das waren noch Zeiten, als ich so kindlich glauben konnte wie Leonie.
Aber inzwischen habe ich kein Kinderfahrrad mehr, sondern eines für Erwachsene. Und aus der Kinderkleidung bin ich längst rausgewachsen. Aus dem kindlichen Glauben auch.
Erwachsen glauben - wie geht das?
Erwachsen glauben heißt für mich, mitten im Leben glauben, auch erschüttert glauben.

Ich will meinen Glauben nicht zur Seite legen, wenn es im Leben schwierig wird. Er gehört mitten ins Leben rein: eben auch in das, was mich traurig macht, wütend oder ratlos. Manchmal kann ich nicht anders, da werfe ich Gott das alles vor die Füße. Und es dauert vielleicht eine Weile, bis ich sagen kann: Ich verstehe das nicht. Aber ich möchte wenigstens erleben, dass Du mit dabei bist. Ich möchte das mit Dir aushalten! Ein lebensferner Glaube wird nicht erschüttert oder durchgeschüttelt. Glaube, der mit dem Leben zu tun hat, schon.
Erwachsen glauben heißt für mich auch, mit kühlem Kopf und aus tiefstem Herzen glauben.
Mit kühlem Kopf will ich glauben: schließlich habe ich auch meinen Kopf von meinem Schöpfer bekommen. Also will ich fragen und suchen und diskutieren und grübeln und zweifeln und abwägen und dazulernen. Immer wieder. Immer neu.
Aus tiefstem Herzen will ich glauben. Ich habe nicht nur mit Menschen zu tun, ich habe es auch mit Gott zu tun. Auch das ist eine Beziehung. Sehr persönlich, umwerfend, anstrengend, hinreißend, ohne Netz und doppelten Boden, liebevoll, intensiv.
Ich freue mich, dass Leonie in so eine Beziehung hineinwächst. Sie wird spannende Erfahrungen machen können. Den Kinderglauben gönne ich ihr von Herzen. Und ich wünsche ihr, dass sie später mal auch erwachsen glauben kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13494
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