Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Für manche Gemeinden werden die Kirchen zu groß. Die Gottesdienste nehmen zu, bei denen sich nur wenige Erwachsene und noch weniger Kinder auf ein großes Kirchenschiff verteilen. Weder das halblaute Beten noch das zurückhaltende Singen dieser kleinen Schar kann den weiten Kirchenraum wirklich füllen. Man fühlt sich leicht unwohl in solchen Gottesdiensten. Entweder kommt man sich unbehaglich vor wie in zu großen Kleidern – oder es drängt sich der Verdacht auf, dass sich hier die tatsächliche Lage der Kirche anschaulich widerspiegelt: Der Kontrast zwischen einem großen Anspruch und geringen Möglichkeiten.
Unsere Vorfahren hätten für eine solche Sicht kein Verständnis gehabt. Als die großen Dome in Mainz, Speyer und Trier gebaut wurden, planten die Baumeister die Gotteshäuser bewusst hoch und weit - und viel größer, als es für die aktuelle Gemeinde erforderlich gewesen wäre. Mehr als die Einwohnerschaft ganzer Städte passte damals in die Kathedralen. Durch das ge-waltige Ausmaß und die Majestät des Bauwerks wollten sie etwas von der Majestät Gottes ab-bilden und erfahrbar machen. Die Baumeister nahmen Maß an der Größe Gottes, nicht an der Größe der Gemeinde. Schon damals mussten die Menschen die imposanten Kirchen als starken Kontrast erleben zur kleinen Gottesdienstgemeinde. Aber sie sahen nicht ängstlich auf die klei-ne Schar, sondern bewundernd auf den großen Gott.
Ob eine Kirche voll, halbvoll oder leer ist, sagt deshalb zunächst nur etwas aus über die Größe des Gebäudes, nicht über den Glauben oder die Größe der Gemeinde. Eine große Kirche zeugt vielmehr von dem Glauben ihrer Erbauer. Deshalb müssen halbleere Kirchen auch heute nicht entmutigen. Es mag paradox klingen, aber viele Kirchen sind gar nicht dafür da, um immer bis auf den letzten Platz gefüllt zu werden. Sondern sie sind so groß, damit immer noch Platz ist. Für jeden und für viele. Auch für Menschen, die sich nicht gleich in eine volle Bank drängen wollen und dankbar sind für etwas Raum - für sich, für ihre Gebete und Gedanken. Und zugleich gilt, was Jesus seinen Jüngern versprach: Wo zwei oder drei in meinem Namen zu-sammen sind, da bin ich mitten unter ihnen – in großen wie in kleinen Kirchen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1344
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