Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Der Himmel ist viel näher als wir vermuten. Vor ein paar Tagen hat mir eine alte Freundin aus meiner Kinderzeit ein Foto geschickt. Da sitzt ein kleiner Ernst Walter auf einem alten Dreirad, einem Goliath, auf der Pritsche und lächelt in die Kamera. Vier war ich da wohl. Kurze Lederhose, hand-gestrickter Pullover; und um mich herum lauter Menschen, die alle, so erinnere ich mich, den kleinen Kerl von Herzen gern hatten: meine Mutter, meine Großmutter, eine Nachbarin, zwei Jungs von gegenüber...
Und als ich das Bild angeschaut habe, wurde mir klar, was für ein glückliches Kind ich war.
Wenn ich nach der Schule um die Ecke des Hauses gebogen bin und habe von der Fensterbank her die sprichwörtlich paradiesische Weinsoße meiner Großmutter gerochen, die da abkühlte - und ahnte: Drinnen in einem großen Eisentopf mit Butter und Milch köcheln die Dampfnudeln vor sich hin und gleich beim Mittagessen konnten die gar nicht so glatten Schulfalten ausgebügelt werden... Das war der Himmel auf Erden.
Ich wusste, wohin ich gehöre.
Es war an einem kalten nebelfeuchten Novembertag. Ein Sonntag. Ich hatte zum ersten Mal eine neue todschicke Hose an. Und da sagte plötzlich einer der kleinen Freunde. Kommt, ich habe einen Schäfer gesehen, droben am Friedhof. Wer geht mit? Wir waren fünf. Und wir streiften durch die nassen Kleefelder, durften die ein paar Monate alten Lämmer auf den Schoß nehmen und streicheln. Vor meinem Elternhaus ist mir eingefallen, dass ja Sonntag war und ich hatte die neue Hose an. Soll ich euch sagen, wie sie aussah? Die Rheinhessen sagen dazu: Sie stand vor Dreck.
Ich habe mich nicht getraut, die Tür zu öffnen.
Es müssen einige Minuten vergangen sein, da habe ich hinter mir Schritte gehört und dann eine vertraute Stimme. Meine Jugendfreundin Renate, zwölf Jahre älter als ich. Sie sagte: Komm, Ernst Walter, ich gehe mit dir. Sie wird schimpfen, aber ich bin bei dir.
Was für ein Glück, habe ich gedacht. Sie ist da und ich bin nicht allein. Sie hat mich an die Hand genommen und ist mit mir gegangen.
Natürlich hat sie geschimpft, meine Mutter, und wie. Wie ein Rohrspatz. Aber am Schluss haben alle wieder gelacht, denn mein Vater hat erzählt, dass er selbst einmal als Bub am Sonntag am Mühlbach mit der Hand Forellen gefangen hat und hinterher selbst so nass war wie die Forellen.... Himmel? Ja.
Das hat wirklich etwas Himmlisches, wenn du, was immer auch geschieht, weißt, wohin du gehörst.
Ich wünsche Ihnen einen guten, einen himmlischen Tag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12989
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