SWR3 Gedanken

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„Schlechter Tag", der kleine Max grinst mich an. Eigentlich wollte ich meine Freundin Ulrike besuchen und dann das. Ulrike kommt zur Tür und entschuldigt sich: Du musst wissen, sagt sie, heute ist Gegenalltag, heute sagen wir immer nur das Gegenteil. Und so sind die Spaghetti ekelig und die Mutti doof und Fahrradfahren bescheuert. Der Tag bei Max und Ulrike wird richtig witzig, pardon, total blöd.
So ein Gegenalltagstag ist ein tolles Spiel; man sieht den tagtäglichen, grauen und manchmal etwas langweiligen Alltag mit anderen Augen. Alltag wird lebendig.
Das Spiel erinnert an A.J. Jacobs. Der hat ein Jahr lang versucht, so zu leben, wie die Bibel es vorschreibt. „Die Bibel & ich: Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen" heißt das Buch, in dem er sein biblisches Jahr beschreibt.
Jacobs eröffnet jeden neuen Monat - sehr zur Freude seiner Nachbarn - indem er das Widderhorn bläst. Er lässt sich einen Bart wachsen, weil in der Bibel steht, dass Haare an den Seiten nicht geschnitten werden dürfen. Er versucht, am siebten Tag wirklich zu ruhen und nichts zu machen - auch nicht mal kurz ins Internet zu gehen.
Ein echtes Problem für den armen Jacobs. Köstlich ist auch, als er Ehebrecher steinigt: er fragt vorher höfflich an und bewirft den Ehebrecher dann mit einer handvoll kleiner Kieselsteine.
Das Jahr hat ihn nicht zu einem religiöseren, gottesgläubigen Menschen gemacht. So komisch es aber ist, mit all den bizarren Vorschriften und verzwickten Regeln, dieses biblische Jahr hat ihn die Welt und Gott mit anderen Augen sehen gelehrt.
Nach einem Jahr stellt Jacobs fest: „Ich weiß immer noch nicht, ob es Gott nun gibt oder nicht, aber es gibt so etwas wie Heiligkeit." Die Heiligkeit des Lebens.

A.J. Jacobs „Die Bibel & ich: Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen" 2009.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12446
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