SWR2 Wort zum Tag

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„Glauben Sie eigentlich an Gott, Herr Bermann?, fragte sie mich einmal am Anfang. Ich war zuerst verblüfft, dann sagte ich: Wenn ich ehrlich sein soll, eigentlich nicht. Und was machen Sie dann hier in der Synagoge? Er glaubt an mich, sagte ich, und ich will ihn nicht enttäuschen. Ich glaube, das hat ihr gefallen." (S. 51)
Auf dieses Zwiegespräch stieß ich im Roman „Die Teilacher" von Michel Bergmann. Ein nach außen nicht eindeutig als fromm zu identifizierender Jude wird von einer Dame, an der ihm liegt, gefragt, ob er eigentlich an Gott glaubt. Nach einer ersten Verblüffung entscheidet er sich für eine ehrliche Antwort und verneint: er glaubt nicht an Gott. Aber das Gespräch findet ja in der Synagoge statt, daher ist die nächste Frage vorprogrammiert: „Und was machen Sie dann hier in der Synagoge?" Und der Jude, der „eigentlich" nicht an Gott glaubt, formuliert das, was die Mitte des jüdischen und christlichen Glaubens ausmacht: „Gott glaubt an mich." Und mit tiefsinnigem Humor, der an manche der von Buber gesammelten „Geschichten der Chassidim" erinnert, fügt er hinzu: „Er glaubt an mich, und ich will ihn nicht enttäuschen". Gott glaubt an mich - das ist das Erste und Bewegende für Christen und für Juden. Und genau das spricht der Mann aus, der in der Synagoge weilt, obwohl er nicht an Gott glaubt. Seine Antwort ist in einer verborgenen Tiefe positiver als das einfache Ja auf die Frage: „Glauben Sie eigentlich an Gott?" Dieses Ja - „Ich glaube an Gott!" kann tatsächlich zu der Meinung verleiten, dass der Glaube bei uns beginnt; und es kann vergessen lassen, dass zuerst Gott an uns glaubt. Er bringt dem von ihm geschaffenen Menschen sein Vertrauen entgegen. Damit beginnt alles. Das ist das Erste und ganz und gar Unerhörte. Daran zu glauben ist grundlegend und ebenfalls unerhört. Im Roman von Bergmann besucht ein Mann die Synagoge und erklärt das als einen Akt der Höflichkeit gegenüber Gott, der an ihn glaubt. Damit zeigt er einen Glauben, der nicht tiefer und wahrer sein könnte. Unter den biblischen Schriften spricht vor allem das Buch der Weisheit von dieser zuvorkommenden Liebe Gottes. Es nennt diese Liebe ‚Weisheit'. Die Weisheit geht von sich aus auf die Menschen zu, so dass: „Wer sie sucht, keine Mühe braucht." Der Mensch findet die Weisheit vor seiner Tür sitzen. Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken." (Weish 6,14.16)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12031
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