SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Ich war gern ein Ferienkind. Besonders bei Oma und Opa. Opa hatte eine kleine Sattlerwerkstatt. Ein richtiges Kinderparadies, mit dem starken Duft von frischem Leder und geheimnisvollen Werkzeugen in zahlreichen Schachteln. Er produzierte aus dem Leder Riemen für Kuhgespanne. Und fertigte Matratzen, die er dann in seinem kleinen Laden im Dorf verkaufte. Stolz half ich in der Werkstatt mit, schaute dem Großvater beim stanzen und nieten zu.
Obwohl es immer genug zu tun gab, kann ich mich nicht erinnern, dass die Arbeit alles andere überlagert hätte. Morgens nahmen sich meine Großeltern viel Zeit für ihre gemeinsame Andacht. Öfter saß ich mit dabei am Küchentisch und hörte zu, wie die Großmutter einen Abschnitt aus der Bibel las und der Opa mit großer Ernsthaftigkeit ein freies Gebet sprach. Danach begann dann erst der Arbeitstag. Und abends wurde am Stubentisch ein Gute-Nacht-Gebet gesprochen und damit der Tag Gott zurückgegeben. Es war eine Form von Glaubenspraxis, die sich mir eingeprägt hat.
Meine Großeltern sind schon lange gestorben. Aber ich bin ihnen immer noch dankbar, dass sie mir etwas von ihrem Glauben weitergegeben haben. Und sie haben mir vorgelebt, wie sie ihr Glauben gerade durch die schweren Kriegsjahre hindurch gerettet hat.
Großeltern können besonders gut von Gott erzählen. Manchmal sogar besser als die Eltern, weil sie mehr Zeit haben und vielleicht auch mehr Geduld. Weil sie mit ihrer Lebenserfahrung manche Konflikte, die es zwischen Eltern und Kindern gibt, gelassener sehen können. Und weil sie etwas weitergeben wollen, was über ein Sparbuch hinausgeht. Die Freude an der Natur zum Beispiel, in der sie Gottes Spuren erkennen. Den Traum von Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen, den sie auch noch für die Enkel träumen wollen. Das Vertrauen in eine Welt, die trotz Finanzkrise und Arbeitsüberlastung Mut macht zur Zukunft.
Kinder brauchen solche Großeltern. Damit sie eine gute Chance haben, sich in diesem Glauben zu beheimaten. Nicht immer, aber ziemlich oft kommt dabei den Omas eine besondere Rolle zu. So wie Oma Lois. Sie gehörte zur ersten Christengeneration. Und sie hat ihrer Tochter Eunike und ihrem Enkel Timotheus von ihrem aufregenden neuen Glauben an Jesus erzählt. Sie war wohl eine besondere Frau, sonst wäre sie nicht eigens in der Bibel erwähnt worden, unerschrocken und sehr begeistert. Das wirkte offensichtlich so überzeugend, dass Tochter und Enkelsohn den neuen Glauben annahmen. Timotheus wurde sogar gleich hauptberuflich Christ und arbeitete in Gemeinden in Athen und Ephesus. Ohne seine Großmutter wüssten wir heute nichts mehr von ihm.

Kinder brauchen Großeltern. Großeltern brauchen Enkelkinder. Eine Generation ist auf die andere angewiesen. Lernt voneinander, ist füreinander da, steht füreinander ein. Großeltern leben Kindern ihr Vertrauen in die Welt vor. Und Kinder eröffnen ihren Großeltern die weite Welt des Internets. So stellt man sich das im Idealfall vor. Zum Glück ist es in vielen Familien genau so. Aber es gibt auch anderes. Manches ältere Paar wünscht sich nichts sehnlicher als Enkelkinder, und muss sich irgendwann damit abfinden, dass es enkellos bleiben wird. Das schmerzt schlimm, da bleibt eine Lücke im Lebenslauf. Manchen hilft es, sich bewusst Kindern oder Jugendlichen zuzuwenden und für sie Ersatzgroßeltern zu sein. Ich denke an einen alten Herrn, der weit über 80-jährig den Jugendlichen einer Gemeinde mit großem Interesse begegnet. Schon seit Jahren. Daraus hat sich ein bewegendes Vertrauensverhältnis entwickelt. Er ist ganz dicht dran an ihnen und ihrer Lebenswelt. Manches versteht er nicht, aber man spürt ihm ab, dass er die jungen Menschen liebt. Und sie lieben ihn dafür. Viel von dem, was erwachsene Christen ihnen vorleben, finden sie nicht überzeugend, ja manchmal sogar abstoßend. Aber jener alte Herr schafft es mit seiner Liebe immer wieder, sie für den Glauben an Gott zu gewinnen. Und sie zu motivieren, bei der Kirche mitzumachen.
Ein altes Sprichwort, das übrigens aus der Bibel stammt, sagt: Der Segen der Eltern baut den Kindern Häuser. Vielleicht müsste man es heute erweitern und sagen: Der Segen der Großeltern baut den Enkelkindern Häuser. Dieser Gedanke verpflichtet. Weil ältere Menschen damit herausgefordert werden, nicht bei sich und ihren Erfahrungen stehen zu bleiben, sie absolut zu setzen. Sondern sich auch mit dem Leben der Jungen zu beschäftigen. Und Ihnen Gutes zu wünschen ohne Neid auf die Jahre, die die Jungen noch vor sich haben. Auf der anderen Seite bekommen Großeltern, wenn sie großzügig und nachsichtig sind, auch ganz viel zurück. Die sprudelnde Lebensfreude der Jungen ist ansteckend. Spontan, unbekümmert und draufgängerisch, wie sie manchmal sind, vertreiben sie manchen Schmerz und trüben Gedanken.
Großeltern und eigentlich alle Älteren haben eine verheißungsvolle Beauftragung: Häuser bauen für die Jungen. Häuser aus Stein werden es nicht in jeder Familie sein, aber Lebenshäuser sind immer möglich. Lebenshäuser, die den Jungen ein festes Fundament sind, in denen sie sich einrichten können. Lebenshäuser, in denen sie sich so sicher fühlen, dass sie die Welt neu gestalten können. Friedlicher, ehrlicher, gerechter, barmherziger. Ein Segen wäre das, für die Jungen und die Alten.

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