Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Martin Buber, der große jüdische Religionsphilosoph, erzählt eine bemerkenswerte Geschichte von Rabbiner Mose Löb. Dieser weise Mann erklärte seinen Schülern: „Es gibt nichts in der weiten Welt, das nicht auch sein Gutes hätte." Das wollte seinen Zuhörern nicht so recht einleuchten. Deshalb fragte einer von ihnen zurück. „Aber was soll daran gut sein, wenn so viele Menschen auf der Erde die Existenz Gottes verneinen?" Da antwortete Rabbi Löb: „Wenn ein armer Mensch zu dir kommt und um deine Hilfe bittet, dann sollst du ihn nicht mit frommen Reden abspeisen und ihm sagen „Wirf deine Sorgen auf Gott", sondern dann sollst du handeln. Und zwar so, als wäre da kein Gott, sondern auf der ganzen weiten Welt nur ein Mensch, der diesem helfen kann: nämlich Du ganz allein!" Dieser Rat des Rabbi hilft mir, wenn mich mal wieder die Frage umtreibt, wie man mit dem unermesslichen Leid umgehen soll, das einem in der Welt begegnet. Warum lässt ein liebender Gott dieses Elend zu? Warum schweigt er? Mit ein paar frommen Sprüchen ist es da nicht getan. Der sinnlose Tod tausender von Menschen bei furchtbaren Naturkatastrophen muss auch die Theologen zunächst sprachlos machen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Rabbi Löb gibt die einzig sinnvolle Antwort. Keine theoretische, sondern eine ganz praktische: Ein gläubiger Mensch wird sich vom Leid der Anderen berühren lassen und den Betroffenen beistehen. Nur so kann er die Hoffnung bezeugen, dass auch das Leid nicht gottlos ist. Auch Dietrich Bonhoeffer hat sich in der Todeszelle mit dem Schweigen Gottes auseinandergesetzt. Kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis schreibt er: „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen - so als wäre da kein Gott." Und der Christ Bonhoeffer geht noch einen Schritt weiter. Das Beispiel des gekreuzigten Jesus zeigt dem Menschen, „dass auch Gott in der Welt schwach und ohnmächtig ist. Und nur so ist er bei uns und hilft uns."

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