SWR4 Abendgedanken BW

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Wenn Erwin seine Enkelin anschaut, ist er richtig stolz. Stolz, und ein bisschen wehmütig. Jetzt ist die Annika auch schon groß, denkt er dann, und in zwei Wochen wird sie konfirmiert.
„Eigentlich merkwürdig", sagt er zu Erika, „für mich ist sie jetzt groß, die Annika, dabei geht sie weiter zur Schule, und was sie mal beruflich machen will, das ist noch gar kein Thema. Mit der Konfirmation ändert sich nichts für sie, aber für mich, da ändert sich etwas. Ich denke dann: Jetzt ist sie auch schon konfirmiert, die Annika."
„Für mich ändert sich da nichts", sagt Erika. „So lange sie noch daheim wohnt und noch mitten in der Pubertät steckt, ist sie für mich noch nicht groß. Wenn sie groß wäre, die Annika, dann würde sie zum Beispiel mal von sich aus mithelfen. Aber man traut sich ja gar nicht, etwas von ihr zu verlangen, schon allein wegen der Schule."
„Also, das halte ich für einen Fehler", sagt Erwin. „Wenn man nichts erwartet, dann kommt auch nichts. Schule hin oder her. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir ihnen etwas zutrauen. Und auch etwas von ihnen verlangen. Es ist nicht gut, wenn wir sie zu lang als Kinder ansehen. Deshalb ist es gut, wenn uns das einmal klar gemacht wird. Und da ist die Konfirmation ein Einschnitt, wo es deutlich wird."
„Ach", sagt Erika, „ein Einschnitt, das war früher so. Weißt du, was ich bekommen habe zur Konfirmation? Aussteuer, so war das damals. Tischtücher mit Hohlsaumstickerei. Jede Menge Bettwäsche. Und Silberbesteck. Ein paar von den Löffeln hab ich noch. Und einen Waschbeutel, und Unterröcke, vier Stück, mindestens."

„Unterröcke?"
„Ja", sagt Erika, „damit die Kleider gut sitzen. Weil ich ab da als erwachsen gegolten habe, na ja, fast erwachsen. Vorher, da war ich ein Kind. Und heute? Da schminken sich die Mädchen mit 12, gehen in die Disco, sie tun ein bisschen so als wären sie erwachsen, aber der eigene Haushalt und die Selbständigkeit - das ist noch sehr weit weg."
„Man könnte meinen", sagt Erwin, „du bist ein bisschen neidisch, weil du nicht so viele Freiheiten gehabt hast."
„Ach", sagt Erika, „wenn du's genau wissen willst: ich möcht' nicht tauschen. Die Welt ist so kompliziert geworden. Manchmal denke ich, sie sollte möglichst lang daheim bleiben, die Annika."
„Tja", sagt Erwin. „Was denn nun? Soll sie nun groß werden oder lieber nicht?"
„Ich weiß", sagt Erika, „wir können sie nicht festhalten. Nicht festhalten, und nicht vor allem beschützen."
„Aber ihr was zutrauen", sagt Erwin, „das vor allem."
„Ihr - und dem lieben Gott", sagt Erika, „bei der Konfirmation kann man sich doch auch daran erinnern, dass wir zu Gott gehören. Ob wir klein sind oder groß.

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