SWR1 Begegnungen

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Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann trifft Gabriele Bartsch, Geschäftsführerin der „Agentur Mehrwert" in Stuttgartbegegnungen > bartsch.jpg

Soziales Lernen für friedliches Zusammenleben
Würden Sie eine Festanstellung aufgeben und sich in ein kleines berufliches Abenteuer stürzen? Gabriele Bartsch hat sich getraut. Vor 10 Jahren. Und ermöglicht andern Menschen immer noch und immer neu, sozial zu lernen. Als Geschäftsführerin der „Agentur Mehrwert":

Ich war sofort elektrisiert und dachte: ‚Das ist meine Stelle und zwar deshalb, weil es um ein gesellschaftlich wichtiges Thema geht, nämlich Menschen dazu zu ‚verführen' sag ich mal, sich gesellschaftlich zu engagieren.

Vor allem Jugendliche und Führungskräfte aus Betrieben will sie zum „sozialen Lernen" verführen. Viele Jugendliche, aber auch Erwachsene kommen selten  mit fremden sozialen Verhältnissen in Berührung. Diese Fremdheit erschwert auch soziales Engagement. Seit 10 Jahren fördert die Agentur Mehrwert in Stuttgart darum „soziales Lernen". Gabriele Bartsch ist von Anfang an dabei als Geschäftsführerin. 9000 Teilnehmerinnen hat die Agentur solche sozialen Erfahrungen ermöglicht.
Wenn Ihr Kind eine 2 in Mathe heimbringt, nach der letzten 5, dann wissen Sie: ‚Das Lernen hat was gebracht.' Gabriele Bartsch kann Lernerfolge so leicht nicht messen. Ihr Lernfeld ist komplexer. Aber nicht weniger wichtig. Ihr geht es um „soziales Lernen". Mit der „Agentur Mehrwert" ermöglicht sie Jugendlichen neue Erfahrungen: Ein Woche lang mit behinderten Menschen. Sie in die Stadt begleiten, die komischen Blicke der Leute aushalten." Oder sie helfen eine Woche im Pflegeheim: Öffnen sich für alte Menschen, lesen dementen Menschen vor. Gabriele Bartsch freut sich über „Erfolge", wenn Jugendliche sich öffnen, Einstellungen und Verhalten verändern.

Wenn ein Jugendlicher sagen würde, mir ist jetzt deutlich geworden, dass es wichtig ist, solche Einrichtungen zu haben und dass die auch finanziert werden können.
Ein Erfolg wäre auch, wenn jemand sagen würde: ‚Mir ist deutlich geworden, dass es mir gut geht und deshalb möchte ich mich da engagieren oder:
‚Mir ist deutlich geworden, ich kann eigentlich ganz schnell in Kontakt kommen mit Menschen, mit denen ich vorher noch nie Kontakt hatte oder die völlig anders ticken als ich und das hat mir auch Spaß gemacht.

Soziales Lernen muss man heutzutage organisieren. Es funktioniert nicht mehr von selbst, meint Gabriele Bartsch. Mehrgenerationenfamilien unter einem Dach: Sehr selten. Soziale Einrichtungen: Für Jugendliche sind das oft fremde Welten. Und nicht nur für die.
Ab 14 kann man mitmachen. Gymnasiasten, Hauptschüler, aus allen Schichten und Kulturen kommen die Jugendlichen. Und immer wieder erlebt sie Überraschungen.

Wir haben festgestellt, dass die türkischen Jungs sich sehr gut integrieren können in Altenheime. Also was man eigentlich überhaupt nicht erwartet. Wir haben die Hypothese, dass das Alter in der traditionellen türkischen Gesellschaft eine viel höhere Wertigkeit hat als in unserer westlich-deutschen Gesellschaftsform.

Diakonisches Werk und württembergische Landeskirche hatten vor 10 Jahren die Idee zur „Agentur Mehrwert". Für Gabriele Bartsch ist dieses Engagement kein Luxus, sondern ur-christlich.

Soziales Lernen ist eine Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Also dass Leute erfolgreich produktiv mit Konflikten umgehen können. Und das ist eine genuin christliche Aufgabe auch, die Menschen zu unterstützen, wie sie ihr Zusammenleben gut organisieren.

Darum sind ihre Zielgruppe längst nicht mehr nur Jugendliche. Vor allem auf Führungskräfte aus der Wirtschaft hat sie es „abgesehen." Es freut sie sehr, wenn es gelingt, Manager oder Betriebsleiter, in das soziale Lernfeld zu locken.

Was ich immer besonders berührend finde ist, wenn die hinterher sagen: 'Ich bin sehr beeindruckt wie professionell in den Einrichtungen gearbeitet wird. Da könnte man sich natürlich drüber ärgern, weil das ja auch sagt, sie hatten vorher das Gefühl, da wird nicht so professionell gearbeitet. Aber, wenn sie das hinterher sagen, dann haben sie ein Urteil verrückt.

 

 „Verführung" zu gesellschaftlichem Engagement

 „Der Einblick in eine fremde soziale Welt, macht reicher", sagt ein Banker. Vielleicht ist es  in Krisenzeiten besonders wichtig, dass wir mehr soziale Erfahrungen mit fremden Menschen, wie es ihnen geht. Allerdings ist es auch nicht leicht einen Personalchef davon zu überzeugen, dass er Azubis oder leitende Mitarbeiter 1 Woche in ein Altenheim oder eine Einrichtung für Suchtkranke schicken soll. Die Agentur Mehrwert mit ihrer Geschäftsführerin Gabriele Bartsch schafft das.

Gabriele Bartsch ist keine von den Lauten im Land. Aber ich glaube, diese schlanke freundliche Frau kann sehr beharrlich sein. Sanft, aber stetig. Man spürt immer noch die Liebe für ihr Projekt: ‚Soziales Lernen fördern.' Da ist immer noch reichlich Glut, mit der sie andere anstecken kann.

Vor 10 Jahren hat die gelernte Soziologin eine „feste" Anstellung in der Kirche aufgegeben, als für die neue „Agentur Mehrwert" eine Geschäftsführerin gesucht wurde.

Ich war sofort elektrisiert und dachte: ‚Das ist meine Stelle, weil es um ein gesellschaftlich wichtiges Thema geht, nämlich Entwicklung von Zivilgesellschaft, Förderung bürgerschaftliches Engagement, Menschen dazu zu ‚verführen' -sag ich mal-  sich gesellschaftlich zu interessieren und sich auch zu engagieren.

Zum gesellschaftlichen Engagement „verführen". Zu viert arbeiten sie daran, plus Honorarkräfte. Sie müssen erfolgreich sein: Aufträge akquirieren. Stifter finden, denen soziales Lernen wichtig ist. Das ist in Krisenzeiten nicht einfach. Aber sie glaubt daran. Auch für die Mitarbeitenden.

Das ist meine wichtigste Aufgabe, zu sorgen, dass Hoffnung entsteht und dass immer genügend Zuversicht da ist, dass es weiter geht.

Zuversicht kann man auf Dauer nicht aus sich selber holen, das weiß Gabriele Bartsch. Sie zögert ein bisschen, als sie von ihrem Glauben spricht.

Für mich ist es einfach wichtig, diese Quelle auch zu nähren, die könnte ja auch versiegen. Also eine Verbindung zu Gott, dass die stark bleibt. Dann wirkt sich das auf alles andere aus.

Das überzeugt mich und ich wünsche es Ihr. - Welche soziale Lernerfahrung würde mir gut tun, frage ich? Sie taxiert mich und sagt. ‚In der Medienwelt geht es oft schnell zu.'

Das Gegenstück wäre Umgang mit Langsamkeit. Dann könnten Sie in eine Wohngruppe für demenzerkrankte Menschen gehen, die sich aufgrund ihres Alters nur noch langsam bewegen, die dann auch 5 mal das Gleiche fragen.

In der Tat, das ist eine Herausforderung. - Es gibt noch andere, denen sie gerne soziale Erfahrungen gönnen würde: Politiker, die ja oft über Geld für Soziales entscheiden.

Weil da tendenziell auch so eine Meinung vorherrscht: 'Das kostet alles einen Haufen Geld.' Das ist natürlich klar. Aber dass sie einfach mal wahrnehmen, wie viel Sorgfalt ist für so eine Arbeit erforderlich. Was haben Menschen auch verdient, die ein ganzes Leben lang gearbeitet haben, was ist auch ein würdevoller Umgang. Und das fände ich gut, wenn die das auch einmal sehen würden. Weil immer, wenn man etwas erlebt hat, dann verändert sich der Horizont.

Soziale Arbeit schätzen lernen und sich selbst engagieren. Dazu will Gabriele Bartsch noch mehr Menschen anstiften. Man spürt ihre Neugierde auf potentielle Interessenten.

Wenn sie in einem Unternehmen arbeiten, könnten sie das in die Personalabteilung bringen ob das nicht auch ein gutes Angebot wäre für Führungskräfte oder für die Auszubildenden. Also das würde ich mir dann am meisten wünschen, dass die dann bei uns anrufen.

Weiter Informationen zur „Agentur Mehrwert"
http://www.agentur-mehrwert.de/

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8478
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