SWR Kultur Zum Feiertag

09MAI2024
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Am Fest Christi Himmelfahrt geht der Blick nach oben. Er folgt dem Blick von ein paar Jüngern Jesu, die sich nach dem Bericht des Evangelisten Lukas einige Wochen nach dem ersten Osterfest in der Nähe von Jerusalem ein letztes Mal mit dem auferstandenen Jesus getroffen haben. „Und es geschah, als Jesus sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel“. Mehr ist damals nicht passiert. Ein einziger Satz reicht aus, um das Geschehen zu umreißen. Ein Wimpernschlag nur, und weg war er. Zurück bleiben zwei Handvoll Männer und Frauen, die in den Himmel starren. Auf allen Bildern ist der an diesem Tag von strahlendem Blau.   

Szenenwechsel, Perspektivwechsel: Der Russe Juri Gagarin ist der erste Mensch, der in umgekehrter Richtung vom Himmel auf die Erde geblickt hat. Am 12. April 1961 hat er an Bord seiner Raumkapsel "Wostok 1" in 108 Minuten die Erde einmal umrundet. Den Anblick beschreibt er als überwältigend: "Ich sah zum ersten Mal die Kugelgestalt der Erde. Der Anblick des Horizonts war einzigartig. Ein zartblauer Film, der den Globus umgibt. Darüber nur der pechschwarze Himmel, mit den klar sichtbaren Sternen und einer Sonne, die dutzendmal heller scheint als auf der Erde". Tief berührt ist Gagarin von diesem Erlebnis. Leider ist sein ehrfürchtiges Staunen in Vergessenheit geraten. Geblieben ist nur ein berühmt-berüchtigter Spruch, den ein westlicher Journalist ihm in den Mund gelegt hat. Ob Gagarin dort oben Gott gesehen habe, wollte der wissen. Aber was soll man darauf schon antworten? Nein, natürlich nicht.

Dass Gott oben im Himmel wohnt, diese Vorstellung gibt es in vielen Religionen. Für Christinnen und Christen ist sie im Gebet Jesu präsent, das mit diesen Worten beginnt: „Vater unser im Himmel …“  Sie hängt mit alten Weltbildern zusammen und der Vorstellung, dass sich die Welt wie ein Haus aus übereinander geschichteten Stockwerken aufbaut. Und sie hängt zusammen mit der Unsichtbarkeit Gottes, mit seiner Transzendenz. Die Zehn Gebote verbieten mit deutlichen Worten, sich ein Bild von Gott zu machen. Keins aus Holz oder Stein, noch nicht einmal eins aus Gold und auch keins in Gedanken. Denn Gott ist nicht dingfest zu machen, den Menschen nicht verfügbar; er sprengt ihre Vorstellungskraft, ist größer, weiter als all ihre Bilder. „Im Himmel“, das heißt dann auch so viel wie „überall und nirgends.“ Gott ist Luft für mich in einem doppelten Sinn: entweder ich erlebe ihn als lebensnotwendig oder er ist mir gleichgültig.

 

Nun haben die Weltbilder sich geändert. Die Erde ist vom Zentrum der Welt zu einem Planeten degradiert worden, der um eine von Milliarden Sonnen kreist. Und der Himmel hat sich ausgedehnt in die unendlichen Weiten des Kosmos. Im 20. Jahrhundert ist der Mensch plötzlich in der Lage, den bisher Gott allein vorbehaltenen Blick aus dem Universum auf den Planeten Erde zu werfen. Für die einen hat der wissenschaftliche Fortschritt damit die Idee einer schöpferischen Gotteskraft überflüssig gemacht. Für andere hat er das gläubige Staunen vertieft und Gott nur umso größer und anbetungswürdiger erscheinen lassen. Der Priester und Dichter Ernesto Cardenal aus Nicaragua dichtet im Duktus der biblischen Psalmen: „Lobt den Herrn des Kosmos. Das Weltall ist sein Heiligtum. Mit einem Radius von hunderttausend Millionen Lichtjahren. Lobt ihn, den Herrn der Sterne und der interstellaren Räume. Lobt ihn, den Herrn der Milchstraßen und der Räume zwischen den Milchstraßen.“ Dieses Gebet ist 60 Jahre alt.  

Aber auch in einem fast 3000 Jahre alten Gebet finden sich schon ähnliche Gedanken. Der König Salomo hat es gesprochen bei der Einweihung des ersten Jerusalemer Tempels. Denn nachdem die Menschen sicher wohnen im Land, soll endlich auch ihr Gott sesshaft werden, der bisher mit ihnen ein Nomadenleben geführt hat: beweglich wie ein Feuerschein, wie eine Wolkensäule. Nun hat Salomo diesem Gott ein Haus gebaut. Am Tag der Tempelweihe fasst er seinen Dank in wohlfeile Worte und bittet Gott um seinen Segen. Aber mitten in der festlichen Zeremonie beschleichen ihn plötzlich leise Zweifel. Und er spricht sie aus und formuliert sie als Frage: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ Dass Gott im Himmel wohnt, heißt nicht, dass er dort oben auf einer Wolke thront. Selbst der unendlich weite Himmel ist ihm als Wohnung zu klein.

Und obwohl Menschen um diese Grundeinsicht wissen, haben alle Religionen ihren Göttern Tempel errichtet. Die jüdische Tradition spricht vorsichtig und mit großer Ehrfurcht von der Schechina, der Anwohnung Gottes auf Erden. Ein Tempel nicht als Wohnung, aber als ein Ort zum Andocken des Göttlichen, ein Altar als Schemel seiner Füße. Nicht Gott braucht ein Haus auf Erden, aber als glaubender Mensch brauche ich neben dem unendlichen auch den begrenzten Raum. Denn im Unendlichen würde ich mich verlieren. Es war schon eine gute salomonische Idee, diesen Tempel zu bauen, und in seinem Gefolge viele Kirchen und Gotteshäuser.

Aber dann kam Gott selbst noch auf eine viel bessere Idee. Er beschloss, sich selbst eine Wohnung zu suchen auf Erden. Und er fand sie in keinem noch so schönen Gebäude, an keiner noch so heiligen Stätte, sondern in einem Menschen. In Jesus Christus kam er zur Welt. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“, schreibt Johannes am Anfang seines Evangeliums. Mit Jesus kommt der Himmel zur Welt. Und plötzlich hat Gott nicht nur eine Wohnung, eine erste Adresse auf Erden, er hat ein Gesicht, er hat Hände und Füße. Und wer immer Gott sucht, braucht sich nicht mehr in den Weiten des Kosmos zu verlieren, sondern kann diesem Menschen ins Gesicht schauen, seine Worte hören, dem nachfolgen, der Gottes Geschichte in letzter Konsequenz gelebt hat. Was für ein einzigartiges, göttliches Experiment!

Heute schließt sich dieser Kreis, der mit der Inkarnation, mit der Menschwerdung Gottes in dem Kind Jesus an Weihnachten begonnen hat. An Christi Himmelfahrt feiern wir, dass dieser Jesus wieder in den Himmel zurückgekehrt ist, von wo er am Anfang seiner Geschichte gekommen ist. Es ist die Krönung des Ganzen, die Krönung dieses genialen Einfalls Gottes, sich freiwillig zu begrenzen, sich zu entäußern, um ein menschliches Leben zu führen und dabei von der Geburt bis zum Tod nichts auszulassen. Aber es ist wie nach einer langen Reise: Auch wenn ich am Ende wieder in den eigenen vier Wänden angekommen bin, bin ich doch eine andere geworden. Und wenn Jesus an Himmelfahrt wieder in Gottes Unendlichkeit zurückkehrt, aus der er gekommen ist, dann löscht das seine Biografie nicht einfach aus. Dann hat Gott selbst sich verändert. Er ist jetzt ein anderer geworden. Menschlicher, verletzlicher. Ein Gott nicht nur mit Zukunft, sondern ein Gott mit einer Vergangenheit.

Es ist ein schöner Brauch, an Christi Himmelfahrt Gottesdienste draußen unter freiem Himmel zu feiern. Denn da kann der Blick nach oben gehen. Und dem Blick von ein paar Freunden Jesu folgen, die sich nach dem Bericht des Evangelisten Lukas einige Wochen nach dem ersten Osterfest in der Nähe von Jerusalem ein letztes Mal mit dem auferstandenen Jesus getroffen haben. „Und es geschah, als Jesus sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel“. Mehr ist damals nicht passiert. Ein einziger Satz reicht aus, um das Geschehen zu umreißen. Ein Wimpernschlag nur, und weg war er. Zurück bleiben wir Menschen, die aufrecht unter Gottes Himmel stehen. Und hoffentlich ist er auch heute von strahlendem Blau.   

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39880
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