Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25NOV2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Von manchen Leuten sagt man: Die gehen zum Lachen in den Keller. Leute, die kaum mal eine Miene verziehen, auch nicht bei einem kleinen Witz oder einer spaßigen Bemerkung. Gar nicht leicht, so jemanden einzuschätzen.

Mein Eindruck ist aber, dass noch viel mehr Menschen zum Weinen in den Keller gehen und ihre Gefühle verstecken, wenn sie traurig sind. Wer traurig ist, ist verletzlich. Wahrscheinlich ist das der Grund. Wer weiß schon, wie die Umgebung darauf reagiert? Hilflos vielleicht, vielleicht sogar verständnislos. Oder irgendwer versucht krampfhaft, Trost zu spenden oder macht ein paar aufmunternde Sprüche… Dann doch lieber die Fassade aufrechterhalten, möglichst unbeschwert wirken – und zum Weinen später in den Keller gehen.

Anfang dieses Jahres ist mein Vater gestorben. Auch ich werde seither von Traurigkeit begleitet. Und seither geht es mir ganz ähnlich: Ich fühle mich verletzlich. Und ich jemandem von meinem Verlust erzähle, merke ich, wie schwierig es für mein Gegenüber sein kann, darauf zu reagieren. Also versuche auch ich, so „normal“ wie möglich rüberzukommen. Nicht nur, weil ich verletzlich bin, sondern auch, weil ich ja Erwartungen habe. Ich möchte so gerne, dass die anderen verstehen, was in mir vor sich geht. Aber ist das nicht ein bisschen viel verlangt? Ich trauere schließlich auf meine Weise – und mein Gegenüber ist vielleicht ganz anders gestrickt. Manche Menschen trauern mit Tränen – andere ohne. Die eine möchten gerne viel erzählen, andere ziehen sich lieber ein wenig zurück. Schon meine Geschwister trauern anders als ich – und anders als meine Mutter. Wir reagieren völlig unterschiedlich. Das macht es für unsere Umgebung nicht leichter. Innerhalb meiner Familie, aber auch nicht – unter uns.

Also doch besser zum Weinen in den Keller gehen? Nicht riskieren, den anderen zu verletzten? Ich denke: Nein. Denn dann würden wir allein unserer Trauer verstummen. Dann wäre jeder von uns allein. Ich möchte lieber das Risiko eingehen und etwas von dem zeigen, was in mir vorgeht. Ich möchte das Risiko eingehen, und es nicht übel nehmen, wenn jemand anders reagiert, als ich das vielleicht gerne hätte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38825
weiterlesen...