Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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21NOV2023
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Der November kann einem zu schaffen machen. Dem einen mehr, dem andern weniger … die Nächte sind lang, und die Tage oft grau und trüb… Trübe Zeiten, wie gemacht für trübe Gedanken.

Es ist etwas zerbrochen dieses Jahr, finde ich. Noch ein Krieg, noch mehr Unzufriedenheit bei uns und noch mehr Gewalt auch auf unseren Straßen. Ich denke, die Zuversicht ist zerbrochen, dass wir auf baldige Lösungen zusteuern, und dass das Leben in absehbarer Zeit wieder „normal“ werden wird: Wissen wir überhaupt noch, was das ist, „normal“? Die Gewissheit darüber? – ist weg. Sichere Zukunftsaussichten? – zerbrochen.

Der November ist auch der Monat des Gedenkens. Vorgestern, am Volkstrauertag das Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt. Und in ein paar Tagen ist dann Totensonntag: Gedenken an die Verstorbenen. Ich sehe mich in Gedanken an den vielen Grabsteinen und Gedenktafeln vorbeigehen, die ich schon auf Friedhöfen oder bei Kriegsdenkmälern gesehen habe. Und gedacht habe: So jung ist da jemand gestorben? Oder so weit weg von der Heimat? Und ich frage mich, ob das womöglich normal ist. Und nicht das Leben in Sicherheit, das ich bisher kennengelernt habe. So gut wie alle Menschen, die vor mir gelebt haben, hatten mit Krankheiten zu kämpfen, mit Hunger, mit Krieg und Naturkatastrophen. Das war ihre Normalität.

Trübe Gedanken für trübe Novembertage – ich weiß. Aber wenn ich jetzt gerade abends über den Friedhof gehe, um eine Kerze am Grab meines im letzten Jahr verstorbenen Vaters anzuzünden, dann sehe ich auch auf vielen anderen Gräbern Kerzen brennen: zum Gedenken und als Zeichen der Hoffnung. Denn dass es noch etwas anderes als diese erschreckende Normalität geben muss, dass das Leben mehr ist als Krieg und Katastrophen, das haben auch die Menschen vor mir gehofft. Auch, wenn der Friede und die eigene Sicherheit immer wieder zerbrochen sind, gab es immer auch die Hoffnung: Dass es wieder besser werden würde. Und dass kein Mensch umsonst gelebt hat, selbst, wenn er durch Krankheit oder Gewalt hat sterben müssen. Oder fern der Heimat. Auf einem Grabstein habe ich im Kerzenschein ein Zitat aus der Bibel gelesen: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. (Offenbarung 21)

Erstaunlich, wie viel Licht Friedhofskerzen in einen trüben November-Abend bringen können. Leuchtend helle Hoffnungslichter – fast so schön wie die Kerzen auf dem Adventskranz.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38822
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