SWR2 Wort zum Tag

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30OKT2023
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Unter freiem Himmel ist eine lange Tafel aufgebaut. Mitten in der Stadt Tel Aviv.  Der Tisch festlich gedeckt. Weiße Tischtücher, weiße Stühle, schöne Teller und Gläser. Es sieht einladend aus. Aber die Plätze bleiben leer; die Gäste kommen nicht. Auch dann nicht, als sich die Tafel nach und nach füllt mit Obst und Brot, mit Blumen und Wein. Die hier so sehnlich erwartet werden, können nicht kommen. Sie werden gefangen gehalten, sind in der Hand von Terroristen, dienen als menschliche Waffen in einem unmenschlichen Krieg. Über 200 Menschen sind in der Gewalt von Geiselnehmern, darunter 30 Kinder.

„Schabbat-Essen“ heißt die Sonderausstellung des Tel-Aviv-Museums an einem Freitag im Krieg. Das Bild von der leeren Tafel hat sich mir eingeprägt, weil es in seiner schlichten Eindrücklichkeit daran erinnert: Wo Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden, am Essen und Trinken und an der Mahlgemeinschaft gehindert werden, da sind die Gesetze der Mitmenschlichkeit aufs grausamste verletzt. Wo aber Menschen zum Essen zusammenkommen können, Brot und Wein und Geschichten miteinander teilen, da wäre Frieden.

Die leere Tafel erinnert mich auch an ein Gleichnis, das Jesus erzählt hat. Auch in seiner Geschichte bleiben die festlich gedeckten Tische leer. Denn die zum Festmahl geladenen Gäste haben einer nach dem anderen wohlfeile Ausreden, warum sie nicht kommen können. Sie stehen mitten im Leben, müssen dringenden Geschäften nachgehen, danach Zeit mit der Familie verbringen, Sport machen, sich mit Freunden verabreden. Ganz anders die mehr als 200 Menschen heute: Was würden die drum geben, um mit ihren Lieben an dieser Tafel zu sitzen! Nichts haben sie sich zuschulden kommen lassen. Nur leben wollen sie, essen und trinken, schlafen und aufstehen, zur Arbeit gehen und murren, spielen und lachen.

In Jesu Gleichnis bleiben die Tische am Ende nicht leer. Denn der Gastgeber lässt nicht locker. Nichts lässt er unversucht, um seine Tafel vollzukriegen bis auf den letzten Platz. Und so ist es auch Gottes Wunsch und Wille, dass an der Schabbbat-Tafel in Tel Aviv jeder einzelne Stuhl besetzt, wird mit jedem einzelnen Menschen, für den da ein Platz freigehalten wird. Und ich bete mit Worten aus einem Psalm: „Gott, Gastgeber des Lebens, bringe zurück unsere Gefangenen, dass sie essen und trinken und sich des Lebens freuen an diesem Tisch.“

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