SWR4 Sonntagsgedanken

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22OKT2023
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„Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ Das hat der Pfarrer bei meiner kirchlichen Hochzeit vor fast 30 Jahren vorgelesen. Der Satz steht in der Bibel. Jesus hat ihn in einem Streitgespräch mit Gelehrten gesagt. Die wollten von ihm wissen, ob ein Mann sich von seiner Frau scheiden lassen kann. Seine Antwort: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“

Nun, wir haben es nicht bis zur Silberhochzeit geschafft. Nach 24 Ehejahren haben mein Mann und ich uns getrennt, im 26. Jahr wurde unsere Ehe geschieden. Ich erinnere mich an den Termin beim Heidelberger Amtsgericht: eine ziemlich nüchterne Angelegenheit. „Sie sind ja beide noch jung“, meinte die Richterin zum Schluss, „und können noch einmal von vorn beginnen“. Das sollte wohl ein Trost sein. Ich war 52 und gehörte nun also auch zu denen, deren Ehe gescheitert war. Lange habe ich gedacht, dass mir das nicht passieren könnte. Schließlich hatten wir viele gute Jahre gehabt, drei Kinder bekommen und großgezogen, uns jahrelang einen Job geteilt und uns gegenseitig unterstützt. Und bei vielen kirchlichen Trauungen haben wir den Brautpaaren, die vor uns standen, diesen Satz vorgelesen: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“

Dass die Wirklichkeit oft ganz anders aussah, haben wir natürlich auch erlebt. Auch in unserem Umfeld und Freundeskreis häuften sich im Lauf der Jahre die Scheidungen. Dass auch wir mit unserer Beziehung am Ende waren, keine Liebe mehr füreinander aufbringen konnten und nur noch wenig Verständnis, haben wir lange nicht wahrhaben wollen. Wir doch nicht! Wir hielten uns für Profis, mit allen Wassern gewaschen, immer noch trotz vieler Herausforderungen ein gutes Team, wenn es drauf ankam. Sich einzugestehen, was uns fehlte, tat weh, es voreinander auszusprechen, noch viel mehr, und schließlich zu merken, dass wir den Punkt verpasst hatten, an dem wir das Ruder noch einmal hätten herumreißen können und wollen, war schmerzhaft. Am Ende hat dann doch nicht der Tod, sondern der Tod unserer Liebe uns geschieden.

Und ich habe mich gefragt, ob ich mit meiner Scheidung nicht nur an meinen eigenen Ansprüchen, sondern auch an Gottes Gebot gescheitert bin. Ich meine: Nein. Denn der Satz „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ steht noch in einem größeren Zusammenhang.

Wenn Jesus sagt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“, dann hat er nicht zwei Menschen vor dem Traualtar im Blick, sondern die Schöpfungsgeschichte der Bibel. Dort wird nämlich erzählt, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat zu seinem Ebenbild. Mann und Frau sind also gemeinsam Gottes Abbild. Und sollen entsprechend miteinander umgehen. Dabei ist die Liebe das Größte, was Menschen erfahren und einander schenken können. Deshalb plädiert Jesus für die lebenslange Ehe als Schutzraum für diese Liebe. Aber Menschen scheitern mit ihren Ansprüchen und an ihren Versprechungen. Auch in ihren Beziehungen. Auch in der Liebe. Auch in einer Ehe. Deshalb lässt Jesus die Möglichkeit der Scheidung gelten - als Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes.

Ich habe zum Glück durch meine Scheidung keinerlei Nachteile erfahren und noch nicht einmal scheele Blicke geerntet. Aber es ist noch gar nicht so lange her, da war das auch in Teilen der evangelischen Kirche noch ganz anders. Da haben Kirchenvertreter verzweifelten Männern und Frauen den Beistand verweigert. Obwohl sie nach dem Vorbild Jesu doch gerade den Menschen nahe sein sollten, die unter ihrem Versagen und ihrer Schuld leiden, die sich selber Vorwürfe machen und die schmerzhaften Folgen ihres Handelns tragen. Schon Martin Luther hat die Tür dafür geöffnet, bei dieser Frage sinnvolle und humane Lösungen zu finden, dadurch dass er die Ehe als „ein weltlich Ding“ angesehen hat. Nichts Vollkommenes. Für die menschliche Wirklichkeit des Misslingens muss es eben auch menschliche Regelungen geben.

Ich habe übrigens inzwischen ein zweites Mal geheiratet. Ja, ich will es noch einmal versuchen. Der lebenslangen Liebe noch einmal eine Chance geben. Bis dass der Tod uns scheidet.
Und Ihnen, ganz egal in welchen Beziehungsverhältnissen Sie gerade leben, wünsche ich einen gesegneten Sonntag:

Wer in seiner Ehe glücklich ist, sei dankbar dafür.
Wer trotz Unvollkommenheiten an einer Ehe festhält, möge spüren,
was diese Haltung Gutes in sich birgt.
Wer in einer Beziehungskrise steckt, bemühe sich,
die tieferen Gründe zu verstehen und suche sich Unterstützung,
um, wenn irgend möglich, die Liebe zu retten.
Wessen Ehe zerbrochen ist,
der wisse sich dennoch mit großer Barmherzigkeit von Gott angenommen.
Wer alleine lebt und sich nach einer Beziehung sehnt, verzage nicht.
Wer sich für die Lebensform des Alleinlebens entschieden hat,
möge sich als vollständigen und gesegneten Menschen erfahren.
Und wer einen Menschen seines eigenen Geschlechtes liebt, lasse seine Liebe leuchten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38650
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