Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16OKT2023
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Auf einem Foto, das ich in die Hände bekam, sind drei Jungs zu sehen. Alle ungefähr im gleichen Alter, so sieben, acht Jahre alt. Sie sehen nicht so aus, als ob sie die dicksten Freunde wären. Sie stehen nebeneinander und schauen eher gleichgültig aus. Weder besonders erfreut noch unglücklich. Das Besondere ist etwas anderes. Einer der Jungs trägt eine Kippa, also das Scheitelkäppchen, das gläubige Juden auf dem Kopf haben. Der in der Mitte trägt einen Hijab, eine Art Kopftuch für Muslime. Der Dritte hat ein Kreuz in der Hand. So stehen sie recht neutral beieinander. Aber eben friedlich, zufrieden, entspannt. Im Hintergrund ist die goldene Kuppel des Felsendoms zu erkennen. Und damit weiß jeder: Die Jungs leben in Jerusalem, dem Ort, wo wie nirgends auf der Welt die Glaubenswege des Judentums, des Christentums und des Islams zusammenkommen. Für die Jungs offenbar kein Problem. Sie kommen miteinander aus, sie leben nebeneinander, lassen den anderen in Frieden, sprechen, spielen, streiten, suchen ihren Weg durchs Leben.

In diesen Tagen wird das Foto zum Symbol. Zum Symbol für ein Palästina, ein Israel, in dem das Wort Frieden kein Fremdwort ist, wie momentan. Ob es in Jerusalem oder Tel Aviv oder dem Gaza-Streifen drei Jungs gibt, die sich so begegnen? Sie werden es kaum können, selbst wenn sie wollten. Weil die Sirenen heulen und überall Militär ist, weil Raketen einschlagen und ihre Freunde ums Leben kommen, ihre Familien in Angst leben. Juden und Muslime und Christen. Es tut so weh, das zu sehen. Es ist eine Schande, wie viele Menschen dort sterben und schreckliches Leid erfahren. Als ob das Bibelwort nie ausgesprochen worden ist: Friede wohne in deinen Mauern, Jerusalem.[1] Wenn sie schon in ihrem Glauben unterrichtet worden sind, kennen die drei Jungs diesen Vers aus Psalm 122. Weil das für ihre drei Religionen gleichermaßen Heilige Schrift ist. Trotzdem erleben sie gerade das Gegenteil. Als ob keiner beherzigen will, was Gott uns damit aufträgt.

Der Angriff durch die Hamas ist menschenverachtend und Unrecht. Dass Israel sich verteidigt, verstehe ich. Es hat das Recht dazu. Allerdings werden so auch immer mehr Menschen sterben. Gottes Gebot wird mit Füßen getreten, egal auf welcher Seite. Ein friedliches Miteinander an diesem Brennpunkt des Glaubens rückt in immer größere Ferne. Aber die drei Jungs auf dem Foto bleiben. Sie sind ein Symbol für Frieden im Nahen Osten. Hoffentlich bald.

[1] Psalm 122,7

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38626
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