Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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19SEP2023
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Ich bin 1964 geboren und gehöre damit zu jener Generation, die Boomer genannt wird. Wegen des Baby-Booms in Deutschland, den es einige Jahre nach Ende des Kriegs gab, als es den Menschen wirtschaftlich wieder besser ging. Mit mir zusammen sind über eine Million Kinder geboren worden, so viel wie noch nie und nie mehr seit 1945. Das heißt: Wir waren damals ein großer bunter Haufen. Und seither kommt an meiner Generation niemand vorbei. In meiner ersten Klasse der Grundschule waren wir vierzig, heute undenkbar. Und zwanzig Jahre später im Tübinger Konvikt, wo die Priesterkandidaten wohnen, eben so viele. Bis heute ruht ein wesentlicher Teil von Wirtschaft und Gesellschaft auf den Schultern der Boomer.

Beliebt sind wir deshalb aber nicht. Im Gegenteil. Ein Teil der jungen Generation geht hart mit uns ins Gericht. Und in gewisser Weise verstehe ich auch warum. Wir verbrauchen zu viel, weil wir viele sind und nicht gelernt haben zu verzichten. Wir sind im Wohlstand aufgewachsen, es ging fast immer nur aufwärts. Schon vor vierzig Jahren hat man gesehen, dass die Ressourcen an Erdöl begrenzt sind; aber den Wechsel zu einer Fortbewegung ohne Benzin haben wir nie konsequent verfolgt. Die Jungen sagen: „Ein bisschen zu fortschrittsgläubig, zu optimistisch, zu unverbesserlich – diese Generation der Boomer. Und wir, die Jungen, denen nun wirklich nichts anderes mehr übrig bleibt, wir sollen den Karren aus dem Dreck ziehen. Bevor die Welt untergeht.“

Nächstes Jahr werde ich sechzig. Ich sehe schon lange, dass es einen grundlegenden Wandel in vielen Bereichen braucht. Dass wir von allem weniger verbrauchen müssen in den reichen Industrieländern, um die begrenzten Ressourcen zu schonen, auch um mehr teilen zu können mit den Ärmeren. Wir dürfen nicht so tun, als gehöre uns die Welt, als seien wir Boomer die letzten. Nach uns die Sintflut. Ich sehe aber auch, was meine Generation tut. Wir halten den Laden am Laufen, sind fleißig und zielorientiert. Und wir geben von unserem Reichtum ab, als Spender, und als die die mehr als je in die Sozialkassen eingezahlt haben. Es gibt eben – wie fast immer – Licht und Schatten. Am besten also lernen wir voneinander, die Jungen und die Alten, versuchen an einem Strang zu ziehen. In einem Boot sitzen wir sowieso.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38408
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