SWR4 Sonntagsgedanken

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03SEP2023
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Obwohl ich gerade keine Kinder oder Enkel im vorlesefähigen Alter habe, treibe ich mich in Buchhandlungen öfters mal in der Kinderbuchabteilung herum. Es gibt so viele schöne Bilderbücher; ich kann die Augen und die Finger nicht davon lassen. Und manchmal kaufe ich sogar eines dieser Exemplare. Erst neulich war es wieder so weit. „Woher kommt die Liebe?“ heißt das Buch, das es mir besonders angetan hat. Es handelt von drei Freunden. Einem Eichhörnchen, einem Elch und einer Ente. Woher die Frage plötzlich aufgetaucht ist, können sie später auch nicht mehr so genau sagen, aber so ist das halt unter Freunden; da traut man sich auch Fragen zu stellen, die man sonst vielleicht lieber für sich behält. „Woher kommt die Liebe?“ ist ja jetzt auch keine Allerweltsfrage. Die drei, die davon allesamt keine Ahnung haben, machen sich auf und befragen zufällige Passanten, denen sie unterwegs begegnen. „Die Liebe kommt aus dem Herzen“, behaupten zum Beispiel zwei Schwäne und formen mit ihren langen Schwanenhälsen prompt ein postkartenreifes Herz. Das Känguru ist der Meinung, die Liebe komme aus dem Bauch und hält sich demonstrativ den Beutel, in dem das Kängurukind es sich gemütlich gemacht hat. Und so hat jedes Tier und hat jeder Baum und jede Blume eine andere Antwort parat. Am Ende ist jedenfalls so viel klar, dass sich die Frage nicht eindeutig beantworten lässt. „Und vielleicht“, sagt der Elch, „muss man ja nicht alles verstehen …“

„Woher kommt die Liebe?“ Mit dieser Frage im Kopf könnte man nun auch durch ein anderes Buch spazieren gehen, nämlich durch die Bibel. Und wahrscheinlich würde man da genau so unterschiedliche Antworten bekommen wie der Elch, das Eichhörnchen und die Ente, je nachdem, an welche biblische Figur man sich halten würde. „Die Liebe ist eine durch und durch väterliche Empfindung“, behauptet zum Beispiel der verlorene Sohn. Der hat seinem Elternhaus schon ganz früh den Rücken gekehrt, um seine eigenen Erfahrungen zu machen, ist aber schon nach kurzer Zeit kläglich gescheitert und steht nun vor dem Nichts. Nur der Gedanke, dass es noch dem ärmsten Schlucker auf dem Hof seines Vaters besser geht als ihm, hat ihn schließlich dazu veranlasst, wieder zuhause aufzuschlagen. Und ganz gegen seine Befürchtungen ist er mit väterlicher Liebe geradezu überschwemmt worden. Die biblische Ruth dagegen sagt: Die größte Liebe meines Lebens habe ich von meiner Schwiegertochter erfahren. Ich habe ihre wunderbaren Worte noch im Ohr: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch. Der Her tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“ Ja, diese Worte sind so schön, dass viele, viele Paare sie sich als Trauspruch ausgewählt haben. Und die würden die Frage nach der Liebe wohl so beantworten: Die Liebe kommt von meiner Frau. Oder: Die Liebe kommt von meinem Mann. Der biblische David würde dagegenhalten und behaupten: Die schönste Liebe ist die Freundesliebe. Und mit Tränen in den Augen würde er dabei an seinen besten Freund Jonathan denken, der im Krieg gefallen ist und dem er eines der schönsten Klagelieder der Welt gesungen hat.

Nur mit einem würde sich die Bibel wohl nicht zufriedengeben, mit der Antwort des Elchs aus dem Bilderbuch:  Man müsste ja nicht alles verstehen …

Im vierten Kapitel des ersten Johannesbriefes steht: „Die Liebe kommt von Gott. Denn Gott ist Liebe.“ Das ist, auch wenn der Satz in der Bibel steht, eine erstaunliche Aussage. Denn eigentlich scheut die Bibel solche Definitionen. Sie erzählt zwar von der ersten bis zur letzten Seite davon, was Gott sagt und tut, wie er handelt und was er denkt, aber mit einer Gleichung festlegen will sie ihn nicht. Nur an dieser einen Stelle traut sie sich das. Und behauptet: Gott ist Liebe. Und weiter: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.“ Das heißt im Klartext: Überall dort, wo wir Liebe erfahren, erfahren wir auch etwas von Gott. Von seinem innersten Wesen. Von dem, was Gott ausmacht. Ob wir diese Liebe im Herzen, im Bauch oder im Kopf spüren, ob wir sie mit Wasser oder mit Erde, mit der Sonne oder dem Himmel in Verbindung bringen, ob sie von einer Freundin kommt, von einem Mann oder einer Frau, von Kindern oder einem Hund, sie ist auf jeden Fall das Einfallstor einer Gotteserfahrung in unser Leben. Der Predigttext fasst es kurz und knapp zusammen: „Wer liebt, kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht.“ Und jetzt überlegen und spüren Sie mal, wann Gott Ihnen auf diese Weise zuletzt begegnet ist. Das sind doch dann beste Voraussetzungen für einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38316
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