SWR2 Wort zum Tag

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12AUG2023
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Wenn am Ende eines Kindergartenjahres die Schulanfängerinnen und Schulanfänger mit einer kleinen Feier verabschiedet wurden, haben wir ihnen ein Lied gesungen, das geht so: „Ich hüll dich golden ein. Von Gott sollst du gesegnet sein. Von Herzen freu ich mich. Ich freu mich über dich.“ Dazu wurden sie dann tatsächlich von ihren Erzieherinnen in ein goldgewirktes Tuch gewickelt und haben für einen Augenblick nicht nur aus den Augen, sondern mit dem ganzen Körper gestrahlt. Und ich hab immer gedacht: Ja, so fühlt es sich wohl an, gesegnet zu sein: wie eingehüllt, eingekuschelt in eine wohlige Decke. Geborgen und beschützt.

Ein Tuch um die Schultern hat auch Maria getragen in jenem entscheidenden Moment ihres Lebens, der alles verändert hat. Da ist der Engel Gabriel in ihr Leben getreten mit der überraschenden Nachricht, dass sie schon bald einen Sohn zur Welt bringen sollte, den kleinen Jesus, das Kind des großen Gottes. So ist es dargestellt auf unzähligen Gemälden, und immer hüllt Maria sich in einen meist blauen Umhang. Du bist gesegnet unter den Frauen: Ich hüll dich golden ein.

Einen Teil dieses Schicksal umwobenen Gewandes besitzt die Kathedrale im französischen Chartres. Es ist ihr größter Schatz. Eine poetische Reliquie, wie unser Reiseleiter erklärt hat, und in der Tat kann auch ich als protestantische Christin ihr mehr abgewinnen als den unzähligen Knochen- oder Kreuzessplittern, die andernorts aufbewahrt werden. Untersuchungen haben ergeben, dass es sich bei dem Stoffballen, der in Chartres verehrt wird, tatsächlich um Seide aus dem Palästina des ersten Jahrhunderts nach Christus handelt, aber das ist es nicht, was ihn so kostbar macht.

Die Kathedrale selbst, meint unser Reiseleiter, sei der in Stein nachempfundene Schutzmantel der Maria, ein Ort, an dem man sich in seinem Glauben bergen kann. Und wenn ich an all die Feuersbrünste und Kriege denke, denen das Gebäude getrotzt und standgehalten hat, nehme ich ihm das gerne ab. Dann aber hat er uns aufgefordert, einmal darüber nachzudenken, was uns einhüllt, wohin wir unsere Zuflucht nehmen, ja wohinein wir uns schmiegen können. Und da muss ich wieder an das goldene Tuch aus Kindergartentagen denken, in das ich so viele Kinder eingewickelt habe mit Liedern und Geschichten und Segensworten. Und ich hoffe sehr, dass sie sich dran erinnern und den Segen spüren können, wenn es kalt wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38225
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