SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

30JUL2023
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Es gibt Gründe, mit Gott zu hadern. Wenn ich sehe, wie ein junger Mensch an seinem Leben leidet; so sehr, dass er an den Rand der Verzweiflung kommt. Dann frage ich mich, ob das so richtig ist, ob Gott unsere Welt nicht anders hätte konstruieren müssen. Wenn im Jemen, wo die Menschen sowieso schon arm dran sind, auch noch eine furchtbare Hungersnot ausbricht. Wenn eine Familie mehrere Schicksalsschläge fast gleichzeitig trifft. Es geht eigentlich immer darum, dass ich etwas als ungerecht empfinde. Dann frage ich mich, warum das so ist. Und ich versuche, meine Frage auf Gott abzuwälzen. Wenn einer dafür Verantwortung übernehmen muss, dann doch er. Der Allmächtige. Der Schöpfer.

Zu diesen Fragen und meinem Hadern scheint das Leid zum Sonntag heute aber so gar nicht zu passen.

 

Nun lobet Gott im hohen Thron,
ihr Menschen aller Nation;
hoch preiset ihn mit Freudenschalle,
ihr Völker auf der Erde alle.

 

Die Kinderstimmen der Münchner Dommusik haben das Lied zum Sonntag intoniert. Eher zart und zerbrechlich als triumphal, was man bei diesem Text erwarten würde: Nun lobet Gott im höchsten Thron. Das Lied scheint von dem nichts zu wissen, was ich eingangs thematisiert habe. Von Zweifeln und Fragen, vom Hadern mit Gott. Sein Text ist durch und durch positiv. Von Erbarmen, Gnade und Wahrheit ist da die Rede. Und ein bisschen klingt es so, als sei Gott über all unsere Fragen und Sorgen erhaben im hohen Thron, wie es wörtlich heißt. Und wir, seine Geschöpfe, nur dazu da, ihn zu loben. Das wäre schon fast alles bei diesem Lied, wenn da nicht seine Melodie wäre. Dieser verhaltene Ton, der zwar vom Freudenschall spricht, aber nicht danach klingt. Sondern vorsichtig bleibt, eher zurückhaltend, keine überschäumende Freude zeigt, keinen bedenkenlosen Jubel. Eine alte Kirchentonart, dorischgenannt, macht genau das möglich. Sie klingt eher nach Moll als nach Dur, bewegt sich immer an der Grenze zwischen Gewissheit und Verunsicherung. Was den dorischen Ton für mich so realistisch macht. Er ist so wie das Leben. Vermutlich ist das der Grund, dass die dorische Tonart nie ganz ausgestorben ist. Sie taucht in Volksliedern auf, z.B. in Scarborough Fair, aber auch in The Wall von Pink Floyd oder im Refrain von Stayin‘ Alive von den Bee Gees. Und eben in alten Kirchenliedern wie dem von heute aus dem 16. Jahrhundert.

 

Lob sei dem Vater und dem Sohn,
dem Heilgen Geist auf gleichem Thron,
im Wesen einem Gott und Herren,
den wir in drei Personen ehren

 

Nun lobet Gott im hohen Thron.

Im letzten Winter war ich ziemlich krank. Erst körperlich, dann auch psychisch. Jetzt geht es mir wieder so weit gut. Darüber bin ich verständlicherweise froh und an manchen Tagen sogar richtig glücklich. Und dankbar. Kann ich mir das erlauben, wenn ich sehe, dass es anderen nicht gut geht, dass Menschen auf unserer Welt Hunger leiden und bitterarm sind? Ja, ich habe Grund Gott zu loben, allein für die Tatsache, dass ich lebe. An anderen Tagen ist es anders, dann konfrontiere ich Gott mit dem, was ich nicht verstehe, was mir zu viel ist, was ich mit dem Bild, das ich von ihm habe, nicht zusammenbringe.

Gewissheit und Verunsicherung liegen oft nahe beieinander. Unser heutiges Lied zum Sonntag greift diese Spannung auf – mit seinem triumphalen Text und seiner Melodie, die eher verhalten ist. Und genauso vielschichtig darf mein Verhältnis zu Gott auch sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38140
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