Ich habe einen Touristen vor der Baden-Badener Trinkhalle beobachtet. Er war offensichtlich überfordert damit, ein Selfie von sich zu machen. Selfie-Modus aktivieren, Smartphone balancieren, Auslöser-Button treffen, das war alles etwas viel für ihn. Und deshalb habe ich gefragt: „Kann ich helfen?“  Die Antwort des Touristen hat mich überrascht: „Nein, sonst ist es ja kein Selfie mehr!“

Kurz habe ich mich gefragt, ob es denn einen Unterschied gibt zwischen einem normalen Foto und einem Selfie. Aber klar gibt es den. Seit Smartphones in beide Richtungen fotografieren können, ist mit den Selfies eine ganz neue Gattung von Fotos entstanden. Neben aller Ästhetik ist der entscheidende Unterschied: Ein normales Bild zeigt Menschen, eine Landschaft oder eine Sehenswürdigkeit. Bei einem Selfie, da steht der Knipser selbst im Vordergrund. Und beim Teilen der Bilder heißt es dann nicht: „Das ist die Trinkhalle“, sondern: „Das bin ich und die Trinkhalle“.

Das Ich steht im Mittelpunkt – das ist der Unterschied. Das war nicht immer so. Es ist gar nicht lange her, da galt die einzelne Person nicht sehr viel. Man musste seine eigenen Interessen immer etwas anderem unterordnen: dem Staat, der Familie, dem Berufsstand oder der Kirche. Aus dieser Zeit rühren Sätze wie „Das gehört sich nicht!“, „Arbeit geht vor.“ oder „Was sollen da die anderen denken?“ Gott sei Dank gilt heute das Ich wieder mehr. Es ist normal geworden, auch auf seine eigenen Bedürfnisse zu schauen und sich zu fragen: Was tut mir gut? Was brauche ich, um gut leben zu können?

Aber die Grenze zwischen „gut für sich sorgen“ und „selbstsüchtig sein“ ist schmal. Selbstfürsorge und Egoismus liegen ziemlich eng beieinander. Und deshalb finde ich es in der Zeit der Selfies auch wichtig, daran zu denken, dass zu viel „Selbst“ auch krankhaft sein kann und eine Gesellschaft verändern kann. Bei zu vielen Egos, die nur an sich denken, kommt irgendwann das Gemeinwohl zu kurz.

Deshalb bin ich der Meinung: Ein bisschen Selfie tut mir gut, aber mit Selfiestick ist es noch besser, diese ausziehbare Stange für´s Handy, die den Arm verlängert. Und je länger er ist, desto weiter wird mein Blickwinkel. Und dann bekomme ich neben ein paar Freunden vielleicht auch noch ein Stückchen vom Himmel mit drauf.