Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JUL2023
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Heutzutage muss alles schnell gehen. Am besten sofort. Aber oft geht das eben nicht. Für komplexe Situationen gibt es keine einfachen Antworten. Da braucht es Geduld, um ein Thema von allen möglichen Seiten zu beleuchten und keine vorschnelle Antwort, bei der meistens ein Verlierer zurückbleibt.

So hätte es auch gehen können, als fromme Juden eine Frau zu Jesus bringen, die ihren Mann betrogen hat. Für sie ist die Sache glasklar. Schuldig, also Todesstrafe. Jesus lässt sich auf diese unmenschliche Hast aber nicht ein. Er schaut auf den Boden, bückt sich und schreibt in den Sand. Es ist nicht überliefert, was er geschrieben hat. Vielleicht waren es nur wirre Zeichen, Kritzeleien, wie ich sie manchmal fabriziere, wenn ich am Telefon bin. Die Wirkung jedoch ist enorm: Die ganze Energie, die die hasserfüllten Männer mit sich bringen, ihr Trieb, das Urteil sofort zu sprechen und die Frau aus dem Weg zu räumen, fließt durch Jesus hindurch in seinen Finger, mit dem er auf die Erde schreibt. Ohne Antwort aber wollen sie nicht aufhören und weggehen. Und Jesus sagt ihnen, was sie nicht erwartet haben und vermutlich auch nicht hören wollen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie[1]. So antwortet einer, der nachdenkt und geduldig vorgeht: mit der Frau, mit den Männern, mit sich selbst. Jesus sorgt so für Weite; es entsteht ein geistiger Freiraum, wo es vorher eng zuging. Er entwaffnet die Männer, indem er das Gespräch auf eine Ebene hebt, in dem sie auf einmal selbst vorkommen.

Obwohl ich oft ungeduldig bin, weiß ich, wie viel besser es geht, wenn ich mindestens noch eine Nacht darüber schlafe, bevor ich eine Antwort gebe. Ich reagiere versöhnlicher, wenn ich nicht wie aus der Pistole geschossen, antworte. Deshalb wünsche ich mir mehr Geduld und Nachdenklichkeit auch in den Auseinandersetzungen, die gerade unser gesellschaftliches Miteinander betreffen. Geduld mit unseren Politikern, die viele schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Geduld auch mit denen, die als Geflüchtete zu uns kommen und sich nicht von einem Tag auf den anderen bei uns integrieren können.

Ich kann auch etwas tun. Denn geduldig zu sein, bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen. In jedem Fall achte ich darauf, dass ich nicht noch unnötig Öl ins Feuer gieße, wenn ich um meine Meinung gefragt werde.

 

[1] Johannes 8,7b

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37974
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