Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11JUL2023
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Jemand hat einen Kratzer in mein Auto gemacht. Im Vorbeifahren hat er mich gestreift. Nicht schlimm, vermutlich kann’s rauspoliert werden. Aber als ich den, der’s verursacht hat, angehalten habe, hat er sich nicht dafür interessiert. Er habe jetzt Wichtigeres zu tun. Mag sein, aber das gibt ihm nicht das Recht wegzulaufen und mich stehen zu lassen. Ich habe überlegt, wie ich jetzt reagieren soll. Sind mir meine Nerven zu schade, und ich sag einfach: „Schwamm drüber!“ Oder denke ich mir meinen Teil über diesen Menschen und geh ihm von nun an aus dem Weg? Oder aber stelle ich ihn zu Rede und lasse ihm das nicht durchgehen?

Ich hab mich für Letzteres entschieden und mir das auch genau überlegt. In diesem Fall wäre ich mir zu bequem vorgekommen, wenn ich die Sache einfach hätte auf sich beruhen lassen. Der Weg des geringsten Widerstands. Tatsächlich ist der Sachschaden gering, aber wie sich der andere verhalten hat, das wollte ich nicht durchgehen lassen. So zu tun, als wäre nichts geschehen. Denn es ist ja etwas geschehen, das auf Dauer das menschliche Miteinander vergiftet. Weglaufen, nicht zu seinem Fehler stehen, den, der den Schaden hat ignorieren – das sind Verhaltensweisen, die ich für inakzeptabel halte. Solche Anstandsregeln will ich nicht zur Disposition stellen. Dafür trete ich ein, wenn es mir wichtig ist. Wenn ich sie bei jemandem erlebe, dann freut es mich. Und im umgekehrten Fall ärgert es mich. Dann muss ich aber etwas unternehmen. Auch wenn das einen Aufwand bedeutet, auch wenn das unbequem ist und andere das für übertrieben halten.

Es ist nicht beliebig, wie wir zusammenleben. Es braucht Spielregeln, auf die man sich felsenfest verlassen kann. Gerade in Zeiten, wo es besonders hoch geschätzt wird, dass jeder denken kann, was er will, wo die Freiheit des Einzelnen extrem hoch bewertet wird. Gerade da braucht es auch klare Grenzen. Meine Hartnäckigkeit hat in besagtem Fall übrigens etwas Gutes bewirkt. Wir haben wie zwei Erwachsene miteinander kommuniziert. Wir werden wohl keine Freunde, aber wir waren respektvoll miteinander. Wahrscheinlich bin ich bisweilen zu aufbrausend, wenn mir etwas gegen den Strich geht. Auch für diese künftigen Fälle hab ich etwas gelernt: Genau zu prüfen, wann es wichtig ist, konsequent zu sein. Nicht nur für mich, sondern für den anderen genauso und im Endeffekt: fürs Miteinander überhaupt.

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