Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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01JUL2023
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In den Kirchen macht sich Religionslosigkeit breit, und das liegt daran, dass sie keine Vorstellung vom Jenseits mehr haben. So lese ich bei der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Wenn sie recht hat, haben die Kirchen ein echtes Problem. Denn ohne den Blick über das irdische Leben hinaus – mit all seinen Nöten, Grenzen und Ungerechtigkeiten – werden die Kirchen zu Dienstleistern neben anderen. Man schätzt ihr Angebot, erwartet aber nicht mehr von ihnen als einen funktionierenden Service hier und jetzt. Dabei ist es nicht leicht, vom Jenseits zu sprechen. Ein Foto vom Jenseits hat niemand. Wir können es nur in symbolischen Bildern beschreiben. Und vielleicht funktionieren einigedieser Bilder einfach nicht mehr.

In der Bibel wird das Jenseits wiederholt als ein großes Festmahl beschrieben, mit Gott als großzügigem Gastgeber. Viele Menschen kämpften früher mit Armut und Knappheit. Da konnte ihnen ein solches buntes Bild mit der Fülle von Essen und Trinken etwa folgendes sagen: Eure Not wird ein Ende haben. Wie bei einem rauschenden Fest wird es mehr als genug für alle geben, denn Gott selbst wird für euer Wohl sorgen.

Heute feiern wir ausgiebig jedes Fest, Geburtstage und viele andere Anlässe, und von Knappheit kann bei vielen keine Rede sein. Da ist das Bild vom Festmahl nicht mehr außergewöhnlich. Und wir spüren die Hoffnung nicht mehr, die von diesem Bild ausging.

Vielleicht müssen wir andere Bilder finden. Einen Hinweis finde ich beim Abschied Jesu von seinen Jüngern. Er tröstet die traurige Schar mit den Worten: Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Und ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten. Jesus malt das gute Jenseits als ein Haus mit vielen Wohnungen, mit Platz für alle. Keine gierige Wohnungsbaugesellschaft dreht mir eine Bruchbude an, sondern Jesus selbst richtet mir die Wohnung her. Dieses Bild verstehen vermutlich alle, die verzweifelt auf Wohnungssuche sind. Befreit sein von der Wohnungsnot kann ein Mosaikstein sein im Bild vom guten Jenseits. Vielleicht brauchen wir mehr solche Mosaiksteine, die zu unseren aktuellen Nöten passen. Um auf das fantastische Jenseits hoffen zu können, das Gott für uns bereit hält.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37913
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