SWR3 Gedanken

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27JUN2023
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Meine süßen Wunden, so heißt das Bild einer iranischen Künstlerin. Es hängt derzeit bei uns in der Kirche. Vorne. Unter dem großen Holzkreuz, da wo sonst bei uns ein Bild von Christus zu sehen ist. „My sweet wounds“ zeigt die Büste einer Frau. Weit geöffnete Augen. Tränen. Dornen wachsen ihr in den Hals in die entblößte Schulter. Sie wehrt sich nicht. Sie schaut einfach, das Gesicht in die Hand gestützt. Sie zuckt auch nicht weg, entzieht sich nicht dem Schmerz.

‚Jedes Mal wenn ich in die Kirche komme, schaut diese Frau mich an.‘ meint eine ältere Dame. ‚Ich kann den Schmerz kaum aushalten!‘ Ich weiß, diese Ausstellung ist für viele eine Zumutung. Der Blick der Frau auf dem Bild ist für mich eine Erinnerung. Im Iran werden derzeit so viele Menschen hingerichtet wie seit den Anfängen der islamischen Revolution nicht mehr. Es ist dort so schlimm wie seit 40 Jahren nicht mehr. Gilda Sahebi, Journalistin aus dem Iran, sagt: Die Menschen im Iran verlieren das Vertrauen in den Westen. Es ist, als würde hier keiner wahrnehmen, was dort passiert. Weil der Westen weiter mit der Regierung im Iran zusammenarbeitet, verlieren die Menschen im Iran langsam den Mut und die Hoffnung.

Das Bild der Frau in unserer Kirche steht für all die Frauen, die verhaftet werden, die gezwungen werden, sich zu verleugnen, die ihrer Freiheit beraubt werden. Mädchen und Frauen, vergewaltigt, gefoltert und hingerichtet.

Das Bild dieser Frau muss genau an dieser Stelle hängen in unserer Kirche. Diese Märtyrerinnen der Freiheit und der Gerechtigkeit, sie sind heute das Gesicht Jesu Christi in der Welt. Sie bleiben. Sie ertragen den Schmerz. Sie riskieren den Tod. Und sie sterben.

Ich will mich nicht wegducken, mir zumindest diesen Schmerz zumuten und die Frauen nicht vergessen. Mindestens das.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37906
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