Ohrwurm. So nennt man eine Melodie, die einen verfolgt und die man nicht mehr los wird.  Manchmal sind es nur ein paar Töne und schon beginnt es im Kopf zu wabern und zu rappeln, immer und immer wieder. Man kann nichts dagegen unternehmen, kann den Wurm im Ohr nicht entfernen. Er muss sich von alleine verkriechen, was vor allem nachts ziemlich unangenehm sein kann, wenn man keine Ruhe findet, weil einem das Musikstück nicht aus dem Kopf will.

Ich würde allerdings nicht behaupten, dass mir das nur unangenehm ist. Es gibt auch Ohrwürmer, die ich gerne habe, wenn sie meine Gedanken bevölkern. Am Brunnen vor dem Tore gehört dazu, ein altes Lied, das ich besonders gern mag, oder der Anfang vom langsamen Satz aus Beethovens fünftem Klavierkonzert. Diese Töne in meinem Kopf tun mir gut, sie beruhigen mich, lassen mich zumindest für einige Zeit vergessen, was sonst so alles auf mich einwirkt. Leider sind es oft die ärgerlichen und bösartigen Dinge, die in meinen Gedanken das Sagen haben: dass ich mit jemandem Streit habe und wir uns das Leben gegenseitig schwer machen. Oder dass in der Ukraine wieder Menschen getötet wurden und in diesem Krieg kein Ende in Sicht ist. Dann wünsche ich mir so etwas wie einen “geistlichen” Ohrwurm, der dem Dunklen etwas entgegensetzt. Ob ich den finde, ihn sozusagen in meinen Gedanken installieren kann, damit ich ihn immer parat habe und eben weiß, was es auch noch gibt außer Streit und Krieg?

Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Wie oft habe ich diesen Vers von Jesus aus der Bergpredigt im Neuen Testament schon gehört. Wie oft ihn zitiert und darüber in einer Predigt gesprochen. So oft, dass er mir etwas abgenützt vorkommt. Aber so ist das wohl mit Ohrwürmern. Genau so entstehen sie: weil man sie wieder und immer wieder gebraucht hat und fast schon gar nicht mehr merkt, dass sie da sind. So stelle ich mir das auch mit dem Bibelvers über den Frieden vor. Wenn ich ihn mir vorsage, weiß ich, dass auch dann Frieden möglich ist, wenn alles sonst dagegen spricht. Der Friedens-Ohrwurm macht mir Mut, beim Streit den ersten Schritt auf den anderen zuzumachen, sogar dann noch, wenn ich mich im Recht fühle. Das geht. Und so lange ich kann an der Hoffnung festzuhalten, dass in der Ukraine kein Krieg mehr sein wird. Dieser Ohrwurm ist wichtig. Was nämlich nicht mehr in Worte gefasst wird, das gibt es irgendwann auch nicht mehr.