SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

08JUN2023
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Es ist schon viele Jahre her, da war ich als evangelische Pfarrerin eingeladen, zum ersten Mal an der Fronleichnamsprozession der katholischen Schwestergemeinde teilzunehmen. Deren Weg hat traditionell auch an der evangelischen Kirche vorbeigeführt. In diesem Jahr sollte dort erstmals auch Station gemacht werden, und ich durfte eine kleine Ansprache halten. Eine besondere Ehre!

Kurz bevor ich mich auf den Weg machen wollte, rief die Babysitterin an. Es täte ihr leid, aber sie könne nun doch nicht kommen. Es war schon spät, was sollte ich machen? Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als mit drei Kindern im Schlepptau loszuziehen. In meinem Kopf sah ich bereits den Film ablaufen, der sich bald vor aller Augen abspielen würde: während mein Priesterkollege ehrwürdig die Monstranz hochhalten und unter seinem Baldachin ein perfektes Bild würdevoller Erhabenheit abgeben würde, würden mir drei Kinder gleichzeitig am Talar zupfen und womöglich lautstark nörgeln, wann das alles endlich fertig wäre. So wollte ich nicht in der Öffentlichkeit dastehen.

Zum Glück haben sich meine Befürchtungen als völlig unbegründet erwiesen: Für die Kinder gab es so viel zu sehen und zu staunen, dass für Langeweile überhaupt keine Zeit blieb. Das fing schon mit dem meterlangen Blumenteppich im Schlosspark an, um den sich weihrauchgefäßschwingende Ministranten aufgereiht hatten. Und da waren die Schulfreunde in ihren Erstkommunionanzügen hinter beeindruckenden Fahnenträgern, und dauernd war irgendetwas in Bewegung. Ich konnte mich also entspannen und auf meine Aufgaben konzentrieren. Und auch darüber nachdenken, was für ein großer Reichtum es doch ist, dass verschiedene Konfessionen unterschiedliche Schätze bergen und doch gleichzeitig alle aus demselben Reichtum schöpfen, nämlich der Fülle eines Gottes, die viel zu groß ist, als dass eine Tradition allein sie erschöpfend auslegen könnte.

Und so danke ich den katholischen Christinnen und Christen, dass sie heute an vielen Orten das Geheimnis der Liebe Gottes buchstäblich hochhalten. Ich danke den evangelischen Christinnen und Christen, dass sie heute Pause machen und anderntags dafür umso nachdrücklicher zu Besinnung und Gebet aufrufen. Und ich danke meinen Söhnen, dass sie mich, ohne zu murren, zu so vielen Gottesdiensten begleitet haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37813
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