SWR2 Wort zum Tag

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21APR2022
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Anfang März sind wir für ein paar Tage in Urlaub gefahren. Nach Flandern sollte es gehen. Mit Absicht hatten wir für die Hinfahrt nicht die schnellste Route gewählt. Es war ein sonniger Tag. Eigentlich viel zu schön, um lange im Auto zu sitzen. Aber wir haben die Ausblicke auf unterschiedliche Landschaften genossen: Den Pfälzerwald, das Saarland, Luxemburg und schließlich das belgische Flachland.

 „Niemand konnte es glauben. Ein blauer Tag. Und doch war Krieg.“

Das schreibt die damals 80jährige Dichterin Hilde Domin in einem ihrer letzten Gedichte. Und auch ich konnte es auf dieser Fahrt noch nicht wirklich glauben: Der Krieg in der Ukraine war gerade mal ein paar Tage alt; wir fuhren vor ihm davon Richtung Westen. Nicht auf der Flucht, sondern auf Urlaub. Durften wir das? Den blauen Himmel genießen, aus dem es andernorts Bomben auf unschuldige Menschen hagelte? Mich hat ein schlechtes Gewissen geplagt. Und dann wieder der Gedanke: Es nützt doch niemand, wenn ich auf meinen Urlaub verzichtete. Ein blauer Tag. Und doch war Krieg.

Als Kind habe ich angenommen, dass die Welt vor meiner Geburt schwarz-weiß gewesen ist. Denn in den Fotoalben meiner Eltern gab es nur schwarzweiße Bilder. Und während ich irgendwann kapiert habe, dass die Hochzeit meiner Eltern ein durchaus farbenfrohes Fest gewesen sein muss, ist Krieg für mich bis heute eine schwarzweiße Angelegenheit geblieben. Als würde mit jedem Krieg die Welt wieder in einen schwarzweißen Zustand zurückfallen.

Hilde Domin hält fest: „Gestorben wird auch an blauen Tagen, bei jedem Wetter.
Auch an blauen Tagen wirst du verlassen und verlässt du. Niemand kann es glauben:
Auch an blauen Tagen bricht das Herz.“

Blau ist die Farbe der Dichter. Und die Farbe des Himmels. Ich glaube nicht, dass Gott dort oben wohnt. Aber ich glaube, dass die blaue Farbe des Himmels durchscheinend ist – transzendent – auf eine andere Wirklichkeit hin, in der es keinen Krieg mehr geben wird, keinen Schmerz und keinen Tod. Und dass wir eines Tages sagen: Niemand konnte es glauben. Ein blauer Tag. Und es war Frieden.

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