SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

17APR2022
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Es ist Nacht. Und eine Frau kann nicht schlafen. Ihr Name: Maria Magdalena. Sie ist völlig aufgewühlt, verwirrt. Es muss einen Sinn geben für das, was sie erlebt hat. Darüber zermartert sie sich den Kopf. Aber sie findet ihn nicht. Noch nicht. Den Sinn eines besonderen Menschen und seines Lebens. Und jetzt seines Todes, der ihr so unsinnig vorkommt. Weil sie sowieso keinen Schlaf mehr findet, geht sie spazieren. Ins Freie hinaus und auch an den Ort, wo man ihn begraben hat – Jesus, ihren Freund, ihren Lehrer, den sie so verehrt und liebt wie niemanden sonst.

So ist das, wenn wir trauern. Ein Mensch ist nicht mehr da. Und wir können uns nicht vorstellen, wie das Leben jetzt weitergeht. Mein Leben, das ohne den Verstorbenen ganz anders sein wird. Und das trotzdem weitergeht, unaufhörlich, als wäre nichts geschehen. Ein Tag folgt auf den anderen. Nur ich, ich drohe, mich darin zu verlieren. Weil die Diskrepanz so groß ist. Hier die Welt, die so grausam gleichgültig ist gegenüber dem Tod. Dort ich, dessen Welt zusammenbricht ohne diesen geliebten Menschen.

Was ich hier beschreibe, ist die Ausgangslage von Ostern. Wer die Auferstehung begreifen will, muss durch den Tod und viele Nächte hindurch, in denen er keinen Schlaf findet. Der Glaube an den Sieg über den Tod entsteht nicht auf Knopfdruck. Er ist auch keine rationale Erkenntnis, die man eben erreicht, wenn man sich nur lange genug anstrengt. Ob der Tod einen Sinn hat und auch der konkrete Tod eines konkreten Menschen, der einem wichtig war, das klärt sich von allein, im Laufe der Zeit. Es geschieht nicht allgemein oder abstrakt, sondern höchst persönlich. Ich mache diese Erfahrung in Bezug auf einen einzelnen Menschen. In Bezug auf meinen Vater, der - gerade mal 72 Jahre alt - ganz schnell innerhalb von vier Wochen gestorben ist. In Bezug auf eine Freundin, die mir so lange eine wichtige Ratgeberin war. In Bezug auf einen ehemaligen Schüler, der sich das Leben genommen hat. Die Erfahrung, dass der Tod nicht das Ende von allem ist, bezieht sich immer auf einen konkreten Menschen. So auch bei Maria Magdalena am Ostermorgen. Da ist das Grab von Jesus. Sie hat ihn tot gesehen. Am Kreuz. Drei Tage ist das her. Jetzt sieht sie: Das Grab ist leer. Und sie hört ihren Namen. Der Totgeglaubte spricht ihn aus. Und da weiß sie: Da ist nicht nur Tod. Da ist Leben im Tod. Und das ist Auferstehung.

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