SWR2 Wort zum Tag

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22MRZ2022
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Ich war immer ein ängstliches Kind. Vielleicht haben mir deswegen die Mutmachgeschichten aus der Bibel so gut gefallen. Am besten die: Wie der Hirtenjunge David den Riesen Goliath besiegt. Jede Einzelheit habe ich in Erinnerung: Auf zwei Bergen steht sich das Heer der Israeliten und das Heer der Philister gegenüber. Jeden Morgen tritt der gepanzerte und bis an die Zähne bewaffnete Krieger Goliath in Erscheinung und brüllt hinüber, dass der Krieg vorbei ist, wenn nur einer sich traut und ihn im Zweikampf besiegt. Den Israeliten schlottern die Knie. Keiner wagt sich vor. Bis eines Morgens der Hirtenjunge David wie zufällig in die Szene stolpert. Und es sofort mit dem Großmaul aufnehmen will. Als Waffe hat er nur eine Steinschleuder in der Hand. Geradezu lächerlich! Goliath verspottet den Knirps, den man ihm als Gegner schickt. Der aber fackelt nicht lang, zielt gekonnt, trifft den scheinbar Unbesiegbaren mit einem Stein an der Stirn, so dass er zu Boden geht und schließlich mit dem eigenen Schwert geköpft wird. Der Kleine hat den übermächtigen Feind besiegt. Alles ist möglich!

Mit der Zeit ist die Geschichte etwas aus der Mode gekommen und aus den Lehrplänen für die Grundschule verschwunden. Trotz ihrer Botschaft, dass auch ein Schwacher einen viel Stärkeren bezwingen kann, schien sie zu grausam. Bot keine wirkliche Alternative zu den Methoden von Mord und Totschlag, die man doch zu überwinden hoffte. Man setzte jetzt mehr auf Friedenserziehung: Streitschlichterausbildungen, Frauen, die sich trauen, Gespräche, Deeskalation. Nicht auf Waffen. Noch nicht einmal auf Steinschleudern.

Jetzt hat unser Bundespräsident die alte Geschichte wieder aus der Versenkung geholt. In einer Rede hat er sich vor kurzem bei all den Journalisten bedankt, die aus Kriegsgebieten berichten und dabei oft nur mit einem Smartphone ausgestattet sind. Und dieses kleine Gerät hat er mit Davids Steinschleuder verglichen: „Der Mut von Journalistinnen und Journalisten ist die Steinschleuder gegen Unterdrückung und Propaganda von Goliaths Zensurmaschine.“

Das finde ich einen starken Vergleich: Jedes Foto, das eine Journalistin aus einer bombardierten Stadt postet, zeigt, was im Krieg wirklich passiert. Egal, was die Aggressoren behaupten. Jedes dieser Bilder wirkt wie ein kleiner Stein und manchmal vielleicht auch wie ein großer Brocken, der gegen die Mauern der Abschottung knallt. Eines Tages werden sie davon einstürzen. Darauf hoffe ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35084
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