SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

20MRZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es gibt Situationen, in denen ich nicht recht weiß, was ich sagen soll. Zum Beispiel wenn jemand mir erzählt, dass seine Partnerschaft zerbrochen ist. Nach vielen Jahren des Zusammenlebens. Was soll ich dann sagen? Dass die Zeit alle Wunden heilt? Oder dass es vielleicht besser so ist?

In so einer Situation kommt mir alles, was ich sagen könnte, wie ein schwacher Trost vor. Am schwersten ist es, wenn ein Mensch gestorben ist und ich den Angehörigen begegne. Floskeln will ich nicht verwenden. Die Formulierung „Mein Beileid“ habe ich nie gemocht. Sie wirkt auf mich so kühl und distanziert. Deshalb entscheide ich mich meistens dafür, gar nichts zu sagen und den Trauernden einen Blick zu schenken, von dem ich hoffe, dass er mein Mitgefühl ausreichend ausdrückt. Aber manchmal, wenn ich kann und es für mich passt, dann sage ich: „Ich bin für dich da!“ Das sind nur fünf kleine Worte. Aber in denen steckt für mich alles drin, was ich an Nähe und Mitgefühl ausdrücken kann. Mehr gibt es nicht. Wenn es ernst und ehrlich ist - und das sollte es immer sein, wenn man das sagt - dann gibt es kein größeres Versprechen. Dann ist das ein echter Trost. Ich behaupte das auch deshalb, weil ich es selbst schon so erlebt habe. Ein Freund war für mich da, als ich absolut nicht mehr konnte. Ich hätte damals um ein Haar den Boden unter den Füßen verloren. Er war da, ohne Wenn und Aber. Sofort, von einem Augenblick auf den anderen. Er kam von selbst und hat sich mir zur Verfügung gestellt. Als ganzer Mensch, egal wofür, komplett, sozusagen mit Haut und Haaren. Das war nicht nur großartig, sondern es war so ziemlich das Größte, was ich überhaupt erlebt habe. Ich finde: Es gibt nicht mehr, was ein Mensch für einen anderen tun kann, als einfach da zu sein, wenn man ihn braucht.

Als einer, der an Gott glaubt, möchte ich das auch von Gott sagen. Und tatsächlich gibt es im Alten Testament der Bibel eine Situation, in der genau das beschrieben wird: Gott gibt sich als der zu erkennen, der da ist. Ja, er sagt von sich selbst, dass das sein Name ist, sein Eigenname, der untrennbar zu ihm gehört. Gott heißt: „Ich-bin-da.“

Als erster bekommt Mose diesen Namen zu hören. Er ist mit seinem Volk im Exil und gerade dabei, eine Viehherde auf die Weide zu führen. Als ihm etwas sehr Ungewöhnliches passiert. Gott zeigt sich ihm in einem Busch, der zwar offensichtlich brennt, aber nicht verbrennt. Das irritiert Mose und macht ihm Angst. Aber weglaufen will er auch nicht, dazu ist er zu neugierig und die seltsame Erscheinung fasziniert ihn. Letztlich deutet er sie so: Es geht seinem Volk und ihm zwar schlecht, aber es gibt keinen Grund zu verzweifeln. Gott bleibt an ihrer Seite, auch in schweren Zeiten. Mose weiß: Das werden ihm die anderen nur glauben, wenn er einen Beweis mitbringt. Und den gibt ihm Gott, indem er ihm seinen Namen verrät. Ich-bin-da! So bin ich für die, die mir vertrauen. Für die bin ich da. Immer und in jeder noch so schweren Lage. Bis heute sprechen fromme Juden den Eigenname Gottes, JHWH, nicht aus. So viel Respekt haben sie vor Gottes Größe und Heiligkeit. Aber sie wissen, was sein Name bedeutet: Ich bin der „Ich-bin-da“.

So weit, so gut. Aber wie wird aus dem Versprochenen eine Realität, die man spüren kann? So wenig wie das bei Mose von einem Tag auf den nächsten geklappt hat, so wenig geht das bei uns. Bei Mose hat es vielen Jahre gedauert, bis er sein Volk in die Freiheit führen konnte, weg aus der Sklaverei in Ägypten. Aber dann war das ihr größtes Glück, dass sie nie mehr vergessen haben. So eine Erfahrung braucht es, damit man glauben kann. Etwas, das einen unvorstellbar frei macht. So frei, dass man Gott wichtiger nimmt als alles andere auf der Welt. So frei, dass man sich auch in dunklen Stunden daran aufrichten kann, weil man weiß: Gott ist da.

Als es mir sehr schlecht ging, war ein Freund für mich da. Ich konnte mich hundertprozentig darauf verlassen, dass er so lange an meiner Seite bleibt, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Dass zu wissen und zu spüren, hat mich frei gemacht. Frei von der Angst unterzugehen. Und frei von dem Druck und den Erwartungen, alles müsse sofort wieder in Ordnung sein. Das hat gedauert. Mein Freund hat durchgehalten. Und ich habe durchgehalten. Bis es wieder gut war. Und ich habe begriffen: Gott war auch da. Immer.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35077
weiterlesen...