SWR2 Wort zum Tag

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15MRZ2022
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Ich muss Ihnen von einer Marotte erzählen: Immer wenn ich in die Natur hinaus gehe, habe ich eine kleine Gartenschere dabei. Und wenn ich Sträucher oder Bäume von Schlinggewächsen umklammert oder überwuchert sehe, befreie ich sie durch Beschneidung der Schmarotzer, und das nicht ohne Lust und Befriedigung.

Wie schön, wenn eine kleine Buche oder ein Nussbäumchen sich wieder aufrichten kann und nach oben wächst - mein kleiner Beitrag zum Frühling in der Natur. Aber nicht nur dort. Solch eine Marotte hat ja viel mit dem eigenen Freiheitsbedürfnis zu tun und wohl auch mit dem Erlebnis unguter Einengung. Was da alles in einem selbst herumwuchern kann und dem wahren Leben den Raum wegnimmt! Diese Schlinggewächse, denen ich draußen in der Natur den Garaus mache, sind ja in mir selber. Welch ein Dschungel oft von inneren Konfliktgesprächen und Selbstvorwürfen, ja von Lebenswunden und Nachtragshaushalten. Ach, da zuzuschneiden und Ordnung zu schaffen, innerlich aufzuräumen. Wie gut das tut, wenn es wieder wächst und Sonnenlicht drankommt.

Ostern ist weit mehr als ein Frühlingsfest. Der Frühling der Natur ist etwas anderes als die christliche Botschaft von Ostern. Aber in einem sind sie doch vergleichbar: es blüht auf, es geht voran – Ostern sogar durch den Tod hindurch. „Gott, du hast den Menschen wunderbar geschaffen und noch wunderbarer erneuert“, heißt es treffend in einem uralten Gebet. Und nichts gehört so zur Weisheit, als dieser Ordnung zu entsprechen und für sie zu sorgen. Nur deshalb habe ich mir erlaubt, von meiner Marotte zu erzählen – ein kleines Beispiel für „Ordnung schaffen“ und mehr Leben ermöglichen. Jeder Gärtner weiß davon, jede Gärtnerin greift zur Schere und anderen Werkzeugen.

Für uns Christen ist die österliche Bußzeit eine wunderbare Chance, um Ostern zu lernen und an der Schöpfung ordnend mitzuwirken, an der Schöpfung draußen und an der Schöpfung in mir drinnen. Ich kenne dafür keine bessere Maxime als die von Johannes vom Kreuz: „Wenn Sie keine Liebe finden, bringen Sie Liebe, und Sie werden Liebe finden.“

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