SWR2 Wort zum Tag

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07MRZ2022
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Schimpfwörter haben derzeit Hochkonjunktur. Eins zurzeit besonders: Andersdenkende werden schnell als „Nazis“ bezeichnet. Ich habe gehört, auf Demonstrationen für und gegen Corona-Verordnungen beschimpfen sich Menschen gegenseitig so - in Freiburg und in Tübingen. Und an anderen Orten vermutlich auch.

Warum wird gerade  d i e s e s  Schimpfwort so oft benutzt? Hat es mit der deutschen Vergangenheit zu tun?

Bei Lichte besehen nur scheinbar. Denn das waren sehr andere Zeiten und sehr andere Kämpfe und Nöte. Das weiß eigentlich jede und jeder. Oder könnte es wissen. Doch offenbar lockt dieser Vergleich immer und immer wieder. Warum eigentlich?

Vielleicht deshalb: Wer Menschen zu „Nazis“ erklärt, muss sich nicht länger um Verständnis und Respekt bemühen.
Hat man jemanden mit diesem Schimpfwort versehen, ist man fertig mit ihr und ihm und „denen“. Da geht nichts mehr: „Schluss, Ende, aus. Du bist und ihr seid vom Teufel.“ In einer Formulierung des französischen Philosophen Jean-Paul Sartre finde ich das so ausgedrückt: „Die Hölle, das sind die Anderen.“

Ich erlebe, wie mich Schimpfwörter belasten und wie sehr sie das Miteinander in unserem Land vergiften.

Jesus hat in der Bergpredigt davor eindringlich gewarnt, andere als „Schafskopf“ oder als „gottloser Narr“ (Matth 5,22; nach Ps 14,1) zu beschimpfen. Es geht ihm dabei ums Grundsätzliche: Wer Andere beschimpft, verwüstet das Miteinander. Das ist mehr als nur ein verbaler Ausrutscher. Das gehöre vor Gericht. Denjenigen drohe im schlimmsten Fall sogar „das höllische Feuer“.

Ich fand dieses Jesuswort bisher einigermaßen übertrieben. Denn Gerichte wären wohl komplett überlastet, würden sie solchen Beschimpfungen und Beleidigungen immer nachgehen. Doch mittlerweile verstehe ich den Ernst der Forderung besser. Jesus stellt solche Beschimpfungen in eine Reihe mit dem Vergehen, Menschen das Leben zu nehmen. Und das kann ich auch nachvollziehen: Wir Menschen können mit Schimpfwörtern einem Menschen gewissermaßen das Leben nehmen – nämlich seine Würde, sein Ansehen. Dazu gehört auch das Schimpfwort „Ihr Nazis!“.

Gerade wenn es um verschiedene Auffassungen geht, – wie zum Beispiel bei Corona – sind Fragen angebracht und keine Beleidigungen.
Fragen, wie diese: Wovor hast du Angst? Wie geht es dir? Warum denkt ihr anders als ich? Was bedroht euch? Fragen und Zuhören – die Anderen als Gegenüber und nicht als Gegner wahrnehmen – das ist das große Anliegen Jesu. Und heute so wichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34975
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