SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

06MRZ2022
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Im Mittelalter hat man in vielen Kirchen den kompletten Altarraum in der Fastenzeit mit einem riesigen Tuch verhängt, so dass die Gläubigen nichts mehr vom Gottesdienst sehen konnten. Fastentücher hießen die Tücher, die den Gläubigen dabei helfen sollten, sich ganz auf ihr Ohr und das gesprochene Wort zu konzentrieren. Und so mit den Augen zu fasten.

Am Anfang waren die Tücher eher schlicht. Im Lauf der Zeit sind sie aber immer kunstvoller geworden. Manchmal waren sogar ganze Szenen aus der Bibel abgebildet. So wie beim Fastentuch in Freiburg. Es ist 400 Jahre alt und mit rund zehn auf zwölf Metern wirklich riesig. Es ist sogar das größte in Europa und deshalb berühmt. Vor ein paar Jahren konnte ich es anschauen. Es ist schon beeindruckend davorzustehen und zu sehen, wie in der Mitte des Tuches Jesus sterbend am Kreuz hängt. Als ich davorstand, habe ich mir vorgestellt, wie die Menschen damals das Tuch wohl angeschaut haben. Im Hinterkopf das, was sie gerade beschäftigt und was ihnen Sorgen macht: wie sie ihre Familie ernähren sollen oder wie das kleine Kind wieder gesund wird. Sie schauen das Tuch an und sehen, dass auch Jesus erlebt hat, wie ungerecht, hart und schwer das Leben sein kann. Dass sie mit ihrem Leid nicht allein sind, hat ihnen vielleicht ein wenig Kraft gegeben durchzuhalten.

Heute gibt es neben den alten, auch moderne Fastentücher, die inzwischen auch „Hungertücher“ heißen. Seit mehr als 30 Jahren gehören sie zu den Fastenaktionen des kirchlichen Hilfswerks Misereor. Alle zwei Jahre wird ein Tuch von einer Künstlerin oder einem Künstler gestaltet, und Gemeinden und Schulen verwenden dann das Bild, um sich mit drängenden Themen auf der ganzen Welt auseinander zu setzen. Auf dem aktuellen Hungertuch ist zum Beispiel die Röntgenaufnahme eines gebrochenen Fußes zu sehen. Vor drei Jahren hat die Militärpolizei in Chile den Fuß eines Mannes während einer Demonstration verletzt. Die Menschen dort haben demonstriert, weil es in ihrem Land ungerecht zugeht. Es wenig reiche, aber viele arme Menschen gibt.
Auf dem Tuch sind aber auch goldene Nähte und Blumen zu sehen. Sie stehen für die Hoffnung, dass es anders werden kann, wenn die Menschen solidarisch miteinander sind. Wenn nicht nur alle an sich selber denken.

Denn: „Es geht! Gerecht.“ Darauf möchte das Fastentuch und die gesamte diesjährige Misereor-Aktion hinweisen. Heute wird sie bundesweit in Freiburg eröffnet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34962
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