SWR2 Wort zum Tag

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04MRZ2022
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Ich hab den Eindruck, dass trotz schlechten Wetters und trotz Corona alle nur gute Laune haben. Auf allen Bildern, die ich so sehe, strahlen die Menschen. Vor allem auf Selfies. Breites Grinsen, Daumen hoch, Smileys. Immer ist alles zum Glücklich-sein. Positiv denken ist angesagt und wird gezeigt.

Aber ich weiß genau: Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Es ist nicht immer alles zum Lächeln oder glücklich-sein. Ich erlebe das in der Familie oder auch in beruflichen Situationen. Da kommt doch immer wieder durch, dass die allgemeine Situation an den Nerven zerrt. Angst vor Ansteckung, der dauernde Abstand, die fehlende Nähe. Immer wieder die Frage, ob denn der Besuch sein muss oder überhaupt geht, ob der Termin richtig ist - oder besser verschoben wird. Herausforderungen, die eben kein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Die Autorin Anna Maas hat dazu ein Buch geschrieben: "Die Happiness-Lüge". Sie kritisiert den allgegenwärtigen Zwangsoptimismus, der mir aus dem Internet entgegenschreit. Den Wahn, alles irgendwie toll zu finden. Dauernd nur strahlend und glücklich sein zu müssen. Ihr Buch ist ein Lob auf die schlechte Laune und die Melancholie, auf Trauer und Rückzug. Ihre These: All das ist wichtig. Es ist wichtig, Sorgen ernst zu nehmen. Und nicht einfach durch einen Spruch glattzubügeln wie "Anderen geht es noch viel schlechter." Mehr noch: Wenn alle scheinbar glücklich sind um mich herum, dann setzt mich das unter Druck. Dabei gibt es Schicksal, Dinge, die schief laufen - und ich kann gar nichts daran ändern.

Im christlichen Glauben hat beides seinen Platz und beides ist wertvoll: Das Glück, die Sorglosigkeit, das positive Denken und das Leid, die Trauer, das Niedergedrückt-Sein und das Schicksal. Da ist der biblische Hiob, der wirklich alles erleiden muss, was denkbar ist. Und der darf seine Verzweiflung herausschreien. Da ist ein Paulus, der verfolgt wird und im Gefängnis landet. Aber da ist auch ein Jesus, der sagt: Sorgt euch nicht um euer Leben. Lebt diesen Tag und seht, was er euch gibt.

Ich finde das stark: Dass beides sein darf. Die Sorge und die Leichtigkeit, das Glück und das Niedergeschlagen-sein. Und ich weiß: Ich darf beides leben. Denn Beides gehört zum Mensch-sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34949
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