SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

20FEB2022
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Hat die Katholische Kirche noch eine Chance? Es kommt gerade so viel heraus, wo sie versagt und die Gebote Gottes in den Schmutz gezogen hat. Viele, die noch nicht ausgetreten sind oder sonst der Kirche den Rücken gekehrt haben, stellen sich deshalb diese Frage. Ich mir auch. Aber im selben Augenblick denke ich mir: Genau das ist es, was ich nicht will. Der Kirche zu viel Gewicht geben. Ihr hier einen Platz einräumen, der viel besser mit anderem gefüllt wäre. Ich weiß, dass viele, die jetzt zuhören, sich auf einen Gedanken freuen, der sie tröstet oder aufmuntert. Zurecht. Dazu sprechen meine Kolleginnen und ich im Radio. Wir überlegen, was unserer Hörerinnen und Hörer brauchen, was unserer Gesellschaft guttun würde. Und manchmal legen wir auch den Finger in eine Wunde, damit diese heilen kann. Wir sagen etwas und setzen dabei voraus, dass es einen Gott gibt, und dass es uns mit ihm besser geht. Und, ja, wir sprechen für die Kirche. Besser: Wir sprechen hier als Kirche. Auch wenn das im Moment unangenehm sein mag, es ist eine Tatsache. Ich bin fest davon überzeugt: Unsere Welt braucht das, was die Kirche zu sagen hat. Solange sie ihrem Auftrag treu bleibt und ihn nicht verrät.

An dieser Stelle ist mir eine Unterscheidung unbedingt wichtig. Was ist denn gemeint, wenn von der Kirche geredet wird? Diese Frage ist nicht so eindeutig zu beantworten, weil die Kirche eine schillernde Größe ist. Sie ist heilig, wenn wir darunter den Bereich verstehen, in dem sich Gott in unserer Welt zu erkennen gibt. Sie ist heilig, wenn sich in ihr etwas von Gottes Heiligkeit zeigt. Als Institution aber, als Organisation, in der Menschen arbeiten und ihr Geld verdienen, in der Gebäude verwaltet und Ordnungen aufgestellt werden, da ist sie ganz und gar weltlich. Und dann gibt es eben noch einen Bereich, der dazwischenliegt. Er ist überall dort, wo unter Menschen etwas entsteht, dass echt und gut und wahrhaftig ist. Um es in einem Bild zu sagen: wo der Himmel die Erde berührt. Darum geht es mir. Das ist kostbar und wichtig für jeden, ob er an Gott glaubt oder nicht. Deshalb behaupte ich: Wenn die Kirche daran mitwirkt, dass Himmel und Erde sich berühren, dann ist und bleibt sie wertvoll für unsere Gesellschaft.

Wenn die Kirche ihre Existenzberechtigung nicht vollends verlieren will, muss sie sich auf das konzentrieren, was ihr Wesen ausmacht. Sie muss helfen, dass der Himmel die Erde berühren kann. Ich glaube, das kann sie nur, wenn sie sich von einem Irrtum verabschiedet. Nämlich: Sie ist nicht selbst der Himmel. Sie darf sich nicht mit Gott verwechseln. Mir scheint, dieser Fehler ist tief im Bewusstsein mancher verankert, die in der Kirche das Sagen haben. So entsteht der Eindruck, als ob die Kirche und ihre Amtsträger nicht von dieser Welt wären. Mitnichten! Alle, die Kirche sind, sind zuerst und vor allem Menschen. Mit denselben Fragen und Fehlern und Nöten. Es ist unverzichtbar, dass sich das alle bewusst machen, die im Namen der Kirche sprechen und handeln. Sie tun es als Menschen. Und so müssen sie auch auftreten. Wie du und ich. Sie sind allenfalls eine Krücke, die beim Gehen hilft, und die man wegwirft, sobald man wieder aus eigener Kraft frei ausschreiten kann. Menschen, die lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich glaube, das passt zu dem Gott, den Jesus verkündet hat.

Leider hat sich ein Teil der Kirche davon zu weit entfernt. Darunter leiden viele, die immer noch das Richtige tun wollen. Und darunter leidet auch unsere Gesellschaft. Denn ihr soll die Kirche ja Gutes tun. Ihr helfen, den Blick für den Himmel nicht zu verlieren. Ich glaube, dass unsere Welt die Kirche braucht. Aber eben eine Kirche, die sich auf das Wesentliche konzentriert. Dazu müssten wohl drei Schritte unternommen werden: Die Kirche sollte nicht so tun, als sei sie etwas Besseres. Das ist sie nicht. Sie schafft aber hoffentlich Möglichkeiten, dass es Menschen besser geht, die arm dran sind. Dazu sollte sie - zweitens - auf viel an äußerem Gehabe verzichten. Auf barocken Schnickschnack und Machtgetöse. Das wirkt oft auf mich, als sei sie aus der Zeit gefallen, gar nicht im Hier und Heute. Nur so aber kann die Kirche - das ist mein dritter Punkt - nahe bei den Menschen sein. Dort ist ihr Platz, weil dort der Platz Jesu war. Nur wenn die Kirche ganz und gar zu ihrer Menschlichkeit steht, hat sie eine Chance, Himmel und Erde zu verbinden. Und dazu gehört im Moment an erster Stelle die Bitte um Vergebung. Auch die ist ganz und gar menschlich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34851
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