Unkraut und Weizen - das ist bis heute eine beliebte Redewendung, wie Gut und Böse, Licht und Schatten.  Das Bildwort stammt aus der Bibel (Mt 13,24-30). Schon dort wird die real existierende Kirche mit einem Garten voll Unkraut und Weizen verglichen. Schon damals gab es fromme Leute, die leidenschaftlich für eine saubere und gesäuberte Kirche plädierten. „Das Unkraut herausreißen“, war die Parole der Saubermänner und -frauen. Nur ja keine schmutzige Kirche. Wenn sonst schon alles gemischt ist, wenigstens hier soll eine Zone der Reinheit sein. Auch viele, die mit Kirche nichts am Hut haben, fordern, wenn schon, eine Kirche der Reinen. Und jetzt dieses Desaster: Missbrauch, Vertuschung, Herausrederei selbst bei den höchsten Verantwortlichen, und vor allem der Verrat an den Opfern.

Ja, schon vor 2000 Jahren gab es Anlässe, den Traum von einer perfekten und heilen Welt namens Kirche zu verabschieden. Die Versuchung, reinen Tisch zu machen, ist groß und verständlich. Die Versuchung, die Kirche mit Gott und seinem Evangelium zu verwechseln, nicht minder. Kirchenleute selbst haben sich wie Gott aufgespielt, und manche tun es noch immer. Aber die Kirche ist ein Acker voll Unkraut und Weizen. Das darf freilich niemals eine Ausrede sein, um dringend nötige Reformen weiter zu verzögern oder Missbrauchsopfer weiter ohne Wiedergutmachung und Entschädigung zu lassen. Aber es kann helfen, die Kirche niemals mit Gott zu verwechseln.

Beim Pfarrer und Dichter Christian Lehnert lese ich: „Es gibt nicht `Gott`, /es spricht ein unentwegtes Geben, // in dem ER selber wird, im Dasein und Entschweben.“ Das trifft mich. Es gibt den Sonnenaufgang heute, es gibt den neuen Tag, es gibt Sinnvolles zu tun.  Ja, „ein unentwegtes Geben“ - und das spricht mich an, das fordert heraus. Das hat mit dem Geheimnis zu tun, das wir Gott nennen. Das hilft, klaren Kurs zu halten – mitten in dem wunderschönen Garten, der die Welt ist und mein Leben, noch voll Unkraut und Weizen. „Es spricht ein unentwegtes Geben“.