SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

30JAN2022
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Manchmal muss ich gar nicht fragen, wie’s meinem Gegenüber gerade geht. Manchmal steht das den Menschen regelrecht ins Gesicht geschrieben: Frisch Verliebte, zum Beispiel, die strahlen geradezu - ob sie wollen oder nicht - und warum sollten sie ihr Glück auch verstecken? Trübe Gedanken dagegen - die geben wir Menschen nicht so gerne preis: dass wir in Problemen stecken oder schlechte Laune haben. Wenn dann die Frage kommt „Wie geht’s?“ dann schwindeln viele Leute. Ich jedenfalls habe das schon gemacht und brav und standardmäßig geantwortet: „Danke - gut.“ So gehört es sich eben - und gelächelt habe ich dabei natürlich auch. Aber bei einem aufgesetzten Lächeln fehlt der Glanz in den Augen. Egal, was der Mund sagt, wie es mir geht, steht mir eben doch ins Gesicht geschrieben.

Und da ist noch eine Gefühlslage, die lässt sich wahrscheinlich am schlechtestes von allen verstecken: Ich meine Entschlossenheit - mehr noch: ich meine Leidenschaft. Haben Sie schon einmal in das Gesicht von jemandem geschaut, der zu allem entschlossen gewesen ist? Der sein Ziel verfolgt, koste es, was es wolle? Der Blick eines solchen Menschen ist sehr klar, finde ich. Zweifel sind darin kaum zu lesen, und auch Angst spielt keine Rolle. Eigentlich beneidenswert, wenn jemand so klar weiß, was er will und was gerade dran ist. Und trotzdem bekomme ich fast Angst, wenn ich in ein Gesicht so voller Entschlossenheit blicke.

Ich habe mich gefragt, woran das liegen könnte und denke: Neid spielt eine Rolle. Vielleicht wäre ich selbst gerne so entschlossen. Vielleicht würde ich mein eigenes Leben gerne so zielstrebig anpacken. Im Beruf zum Beispiel müsste ich mich klar behaupten und gegen andere durchsetzten. In meiner Beziehung würde ich vielleicht gerne etwas ändern. Aber wird der Mensch an meiner Seite das verstehen? Habe ich den Mut, so zielstrebig zu sein? Oder verstecke ich auch hier lieber meine Gefühle und lasse mir lieber nicht am Gesicht ablesen, wie es mir gerade geht?

Angst haben die Menschen auch vor Mose bekommen, als sie ihm ins Gesicht gesehen haben. Eine Geschichte aus der Bibel erzählt davon. Sie ist heute der Mittelpunkt in vielen evangelischen Gottesdiensten. Mose darf - als einziger - mit Gott persönlich sprechen. Er geht zur Bundeslade - einer Art Thron, auf dem Gott unsichtbar sitzt - und bekommt von Gott persönlich seine Anweisungen: Wie die die Reise des Volkes Israel durch die Wüste weiter gehen soll. Wie sich die Menschen verhalten sollen, welche Regeln gelten und wo sie eine Heimat finden werden. Glasklar weiß Mose, was Gott von ihm will, und er ist entschlossen, genau das auch zu tun.

Als Mose zurückkommt, haben die Menschen Angst vor ihm. Weil er mit Gott direkt gesprochen hat, glänzt nämlich sein Gesicht - so die biblische Geschichte. Wenn ich versuche, das mit meinen Worten zu beschreiben würde ich sagen: Mose steht ins Gesicht geschrieben, was zu tun ist - und das mit beängstigender Klarheit.

Damit die Menschen es mit Mose aushalten, muss er sein Gesicht verhüllen. Das Volk erträgt es nicht, immer dieses klare und entschlossene Gesicht zu sehen. Und ich denke das kommt daher, dass sie dann ihre eigene Unsicherheit spüren. Reicht der Mut, den Weg zu gehen? Reicht die Kraft, das Ziel auch zu erreichen? Zweifel machen Angst. Und wenn die Menschen den Glanz im Gesicht von Mose sehen, dann ist das manchmal einfach zu viel. Mose weiß das - und er verhüllt sein Gesicht vor dem Volk.

Ich habe gestaunt, als ich diese Geschichte gehört habe. Was für Anregungen zu der Frage, was man uns Menschen alles am Gesicht ablesen kann. Bei Mose ist es Entschlossenheit, Klarheit, Gewissheit, das richtige zu tun, weil er Gott auf seiner Seite weiß. Beim Volk der Israeliten löst das Angst aus - und das steht ihnen anscheinend ebenfalls ins Gesicht geschrieben. Denn Mose reagiert darauf und verhüllt sein Gesicht, dass diesen besonderen Glanz hat durch die Begegnung mit Gott.

Wohl gemerkt: Er verhüllt es mit einem Tuch. Er überspielt es nicht - ein wichtiger Unterschied: Mose setzt kein künstliches Lächeln auf. Ich meine, das ist wichtig: Dass wir uns ansehen lassen, was uns bewegt, sei es Angst, sei es Freude oder auch Entschlossenheit. So weiß jeder von jedem, woran er ist. Es ist gut, dass unser Gesicht so viel von uns erzählt.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34756
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