SWR2 Wort zum Tag

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01JAN2022
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"Was würden Sie tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?“ fragt Joachim Ringelnatz in einem seiner trefflichen Gedichte.

Das neue Jahr regieren: Was für ein verlockender Gedanke, wenn 365 unverbrauchte Tage noch vor einem liegen! Ich spinne ihn einmal fort: Vielleicht würde ich zuerst einmal die Zeit vorspulen, bis Omikron- und Omega- und andere Virusvarianten erfolgreich bekämpft sind und endlich wieder normale Zeiten einkehren. Gleichzeitig würde ich den Klimawandel stoppen und Frieden schaffen von Äthiopien bis Afghanistan und nebenher noch alle anderen Ursachen für die Flüchtlingsströme in aller Welt beseitigen. Bis das alles geschafft ist, wäre es bestimmt Sommer und das Leben ohnehin ein leichtes. Wir könnten wieder Feste feiern, wie sie fallen, ans Meer fahren und Zeit haben für das Wesentliche, was immer es sei. …
Sie merken schon, es ist gar nicht so leicht mit den Regierungsgeschäften …

 „Was würden Sie also tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten?“ Joachim Ringelnatz beantwortet seine Frage so: „Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich die ersten Nächte schlaflos verbringen und daraufhin tagelang ängstlich und kleinlich ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen. Dann – hoffentlich - aber laut lachen und endlich den lieben Gott abends leise bitten, doch wieder nach seiner Weise das neue Jahr göttlich selber zu machen.“

Was für ein wunderbar weiser Rat! Lache! Zuck nicht nur mit den Mundwinkeln, sondern lache richtig laut. Lache vor allem über dich selbst und deine Anmaßung! Lache laut über den Gedanken, Du könntest das Jahr regieren. Oder die Welt. Oder dein Leben. Lachen befreit und rüttelt dich zurecht. Und wenn Du dich solchermaßen zurechtgerüttelt und - geschüttelt hast, dann leg alles, was dir dann noch Sorgen macht und dich beschwert, leg die ganze Verantwortung und die vermeintlichen Regierungsgeschäfte aus der Hand. Leg sie in Gottes Hand, da liegen sie richtig. Und sing, wenn du’s kannst: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll. Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“

Ich atme auf. Ich muss das neue Jahr nicht regieren. Ich könnte es auch gar nicht. Ich bin froh, dass ich in einer Demokratie lebe, in der viele Menschen sich Regierungsverantwortung teilen. Der letzte Regierungswechsel hat mich da ganz stolz und zuversichtlich gemacht. Denn ich habe gesehen, wie Regierungsmacht übergeben wird, weil sie nur verliehen ist. Auf Zeit. Trotzdem bleibe ich natürlich vielfach gefordert und verantwortlich dafür, dass Dinge in guter Weise vorangebracht werden und den Erfordernissen nicht nur dieses, sondern auch der kommenden Jahre genügen. Große Aufgaben stehen bevor. Da kann man schon mal vor Aufregung ein paar Nächte schlaflos verbringen. 

Und auch die Versuchung, ängstlich und kleinlich dumme und selbstsüchtige Pläne zu schwingen, ist nicht von der Hand zu weisen. Angesichts der globalen Herausforderungen möchte auch ich mich manchmal lieber in ein Schneckenhaus zurückziehen und mich nur noch um mich selbst und meinen kleinen Schrebergarten kümmern. Sollen die andern doch die Welt retten!  

Wie gut, dass es Ratgeber wie Joachim Ringelnatz gibt, der mir sagt: Bevor Du dich verkriechst und verkümmerst, lach nochmal! Vor allem über Dich selbst. Und dann tu das Deine und vertraue das Andere Gott an.

Mir hilft dabei ein kurzes Gutenachtgebet. Das heißt: „Sprich Ja zu meinen Taten, hilf selbst das Beste raten. Den Anfang, Mitt’ und Ende, ach Herr zum Besten wende.“

Gar nicht kleinlaut, sondern sehr selbstbewusst bitten diese Zeilen Gott um seine Zustimmung zu den eigenen Plänen und Entscheidungen: „Sprich Ja zu meinen Taten!“ Das macht mir Mut zum Handeln. Und an zweiter Stelle wird Gott um Unterstützung gebeten: „Hilf selbst das Beste raten.“ Das bewahrt mich vor Selbstüberschätzung.

Mit dieser Haltung, meine ich, lässt sich gut in ein neues Jahr gehen. Übernehmen Sie Verantwortung! Bleiben Sie zuversichtlich! Vergessen Sie zwischendurch das Lachen nicht. Und bitten Sie den lieben Gott abends leise, doch alles zum Besten zu wenden.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34572
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