SWR2 Wort zum Tag

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31DEZ2021
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Das Jahr geht still zu Ende. Der Jahreswechsel wird auch in diesem Jahr ohne Feuerwerk vonstattengehen. Hundebesitzerinnen freuen sich, dass ihren vierbeinigen Gefährten das alljährliche Knalltrauma erspart bleibt. Hausbesitzer in Hanglagen bedauern, dass ihnen ein kostenloses Spektakel entgeht. Pyrophile sind untröstlich. Umweltaktivistinnen jubeln. Notärztinnen und Feuerwehrmänner hoffen auf eine entspannte Nachtschicht.

Das Jahr geht still zu Ende. So heißt auch ein Silvesterlied aus dem Jahr 1857. Eine junge Frau hat es gedichtet, Eleonore Reuss. Sie ist in jenem Jahr 22 Jahre alt und muss den Tod ihrer Freundin Marie verkraften. Erst das Weihnachtsfest und dann der Silvesterabend haben ihr die letzten Kräfte geraubt. Denn das sind so Tage, an denen einem der Verlust geliebter Menschen noch einmal heftig zu Leibe rückt. Den anstürmenden Gefühlen ist sie wehrlos ausgeliefert. „Das Jahr geht still zu Ende, nun sei auch still, mein Herz“, redet sie sich gut zu. Und wahrscheinlich meint sie damit nicht nur den Krach eines mitternächtlichen Feuerwerks, sondern auch das Lärmen der Gedanken in ihrem Innern. Das ewige Kreisen der Fragen, die keine Ruhe geben, sondern sich in Endlosschleife immer wieder um dasselbe drehen. Sie sitzt da und ist alleine. Und sehnt sich nach der Freundin: Marie, wo bist du?

„Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein“, hat auch der Prophet Jesaja den Menschen in auswegloser Lage gepredigt. Er weiß um eine Stärke, die aus der Stille kommt. Er weiß auch, dass Menschen ihr normalerweise lieber ausweichen. Sich mit Betriebsamkeit und Geschäftigkeit ablenken. Die Stille lieber zudröhnen. Vielleicht tut sie aber gut, so eine verordnete Stille. Wenn wir sie zulassen, uns auf sie einlassen, dann haben vielleicht auch andere Stimmen eine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Durchzudringen durch die schon tausend Mal gehörten wohlmeinenden Ratschläge, oder durch die stets neues Unheil verkündende Stimme des Nachrichtensprechers.

In der Stille kann ein Raum entstehen für die Stimmen der Hoffnung und der Zuversicht, die sich so leicht übertönen lassen. Manche interpretieren diese Stimme als Stimme Gottes, die sagt: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

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