SWR2 Wort zum Tag

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06JAN2022
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Heute würden sie wieder durch die Straßen ziehen. Die Sternsinger. Wegen Corona aber können sie nicht wie üblich an der Tür klingeln, können nicht singen, ihre guten Wünsche sagen. Aber können sammeln: Geld für Kinder weltweit. Gaben, die weitergegeben werden.

Die Sternsinger erinnern an die biblischen Sterndeuter. Astronomen, so erzählt es die biblische Weihnachtsgeschichte, die sich aufmachen und einem Stern folgen. Der führt sie bis nach Betlehem. Zu dem neugeborenen Kind.

Klingt lapidar. Doch die Geschichte der Sterndeuter verläuft alles andere als reibungslos. Sie haben einen langen Weg hinter sich, und landen dann erst einmal bei König Herodes. Über diesen Umweg finden sie das Kind. Doch der Weg zurück ist ihnen versperrt. Sie misstrauen dem König und ziehen auf verschlungenen Pfaden wieder Richtung Heimat.

Diese Wege und Umwege stehen exemplarisch für die Sterndeuter. Denn ihre Geschichte fängt schließlich damit an, dass sie ihr Leben umkrempeln. Dass sie sich umorientieren. Sie steigen runter von ihren Beobachtungstürmen, packen sozusagen ihre Ferngläser ein und gehen los. Sie wollen den Stern nicht nur sehen. Sie wollen auch sehen, wofür dieser Stern steht. Die Sternexperten lassen sich neugierig machen. Lassen sich aus ihrem Alltag reißen. Verlassen ihre gewohnte Umgebung. Man könnte sagen, sie lassen das sichere Terrain hinter sich. Ziehen aus all dem aus, was sie kennen. Der Stern aber setzt die Weisen aus dem Morgenland auf eine neue Spur. Das geht kaum, wenn man zu Hause bleibt und den Alltagsmodus einschaltet. Das geht nur, wenn man in andere Richtungen sieht, anders sehen lernt.

Was mich noch bewegt: Die Sterndeuter sind Wissenschaftler. Sie kennen sich aus mit Kometen und Planetenbahnen, Sternen und Sternbildern. Sie sehen tage-, wochen-, jahrelang auf den scheinbar immer gleichen Himmel. Und dann bemerken sie das Ungewöhnliche. Dass ein Stern seine Bahn verlässt. Anders tickt. Anders scheint. Und das inspiriert die Sterndeuter. Auch sie verlassen ihre eingefahrenen Wege. Aber: Es ist die Wissenschaft, die Vernunft, die sie aufbrechen lässt. Nicht der Glaube führt sie zum Kind. Sondern ihre wissenschaftlichen Kenntnisse über die Sterne. Und nur so können sie das Kind finden. Den Stern ihres Lebens.

Die drei Könige, wie die Sterndeuter in der Tradition heißen, stehen beispielhaft für die ganze Weihnachtsgeschichte. Denn diese Geschichte erzählt in vielen Variationen von einem Richtungswechsel. Menschen, die zu ihrem Kind Ja sagen. Hirten, die ihre Herde verlassen. Engel, die unverhofft erscheinen. Ein Mann, der seinen Entschluss, sich von der Frau zu trennen, revidiert.

Alle diese weihnachtlichen Figuren gehen davon aus, dass es kein „Weiter so“ geben kann. Dass sich etwas radikal ändern muss. Dass es einen wirklichen Neuanfang braucht. Ein Neuanfang jenseits von Gewalt und Hass, jenseits von Besitz und Stolz, jenseits von Schwarz und Weiß. Und dieser radikale Neuanfang, der kann gar nicht besser symbolisiert werden, als durch ein Kind. Ein Kind, dem die Welt offen steht. Ein Kind, das alles werden kann. Das seine ganze Zukunft noch vor sich hat.

Die Weihnachtserzählung ist alles andere als eine Geschichte von Stiller Nacht und heiler Familie. Sie will etwas vom Menschen. Sie will, dass ich das gewohnte Denken verlasse. Dass ich mich aufmache und neu sehe, was wichtig ist. Dass ich meinen Stern finde, der mich auf eine neue Spur setzt.

Die Sterndeuter erzählen, was es heißt, beweglich zu sein. Im Kopf und auch in den Beinen. Und dass vielleicht gerade die Menschen, die einen weiten Weg zurücklegen, die Umwege und Schleifen in ihrem Leben zurücklegen, dass gerade die mir etwas sagen können. Gerade heute, wo steile Karrieren und gerade Biographien ohne jede Lücke etwas gelten, da rütteln mich die Sterndeuter auf ihren krummen Wegen auf.

Und sie machen mir deutlich, was hinter ihren Umwegen steht. Die Suche nach dem Weg, der zum Leben führt. Zur Wertschätzung des Lebens. Zur Achtung vor jedem Leben.

Auch deshalb sammeln heute die Sternsinger. Sie kommen vielleicht nicht persönlich vorbei. Aber ihre Botschaft ist überall zu hören. Die Botschaft vom Aufbruch, die Botschaft von einem Stern, der Wege erleuchtet, die Botschaft vom Wert jedes Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34543
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