Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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15DEZ2021
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„Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch endlich wieder ruhiger.“

So spöttisch hat der Komiker Karl Valentin (1882-1948) schon vor hundert Jahren die hektische Vorweihnachtszeit gesehen. Und auch der Dichter Rainer Maria Rilke kritisierte den Stress der Adventszeit. Er meinte, „das Tempo der Welt“ nehme keine Rücksicht auf das Fest. Wie ein „Schnellzug rast man darauf zu, hält an keiner Station, und es ist nicht mal sicher, dass man in „Weihnachten“ halten wird.“

Für den empfindsamen Rilke blieb Weihnachten zeitlebens das wichtigste Fest. In vielen Gedichten fängt er die Atmosphäre des Advent und der Festtage ein. Alle Jahre wieder zieht er sich rund um Weihnachten in die Stille zurück. Es ist für ihn eine wichtige Auszeit. Er nutzt sie, um Freunden und Bekannten liebevolle Briefe zu schreiben.

Besonders eindringlich sind die Zeilen an seine Mutter, in denen Rilke immer wieder die Weihnachtsbräuche seiner Kindheit schildert. Aber er verliert sich nicht in sentimentalen Erinerungen. Weihnachten soll auch für den Erwachsenen etwas Besonderes, etwas Einzigartiges sein. Seiner Mutter schreibt er kurz vor dem Fest: „Wir haben eine Stelle in uns an diesem Abend, wo wir einfach Kind sind, das erwartet, vertraut und unbeirrt dasteht in seinem Recht auf große Freude: Dies ist Weihnachten, einmal im Jahr diese Erwartung in sich fühlen, (..) dass das Erwachsene, das jetzt über uns ist, nicht weniger, nein, viel mehr, mit Unendlichem uns überraschen will, dass im Grunde unsere größten Wünsche, wenn wir sie nur recht ins Herz fassen, nicht unerfüllt bleiben können.“

Dieses Gefühl verspüren viele Menschen an Weihnachten, ganz gleich, ob sie es religiös verstehen oder nicht. Darin liegt sicher die Faszination, die noch immer von Weihnachten ausgeht. Das wird in diesem Jahr nicht anders sein.

 

Literatur:  Ein Weihnachtsabend mit Rainer Maria Rilke. Ditzingen, 2020

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34445
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