SWR3 Gedanken

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09DEZ2021
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“You can´t have a rainbow without a little rain.” Du bekommst keinen Regenbogen ohne ein bisschen Regen. Sätze wie dieser nerven mich. Klar, ein klassischer Kalenderspruch, aber sie begegnen mir ständig. Sie belagern meinen Instagram-Feed oder stehen als Muntermacher auf einer Gästetoilette. Sie erzählen mir, dass ich positiv denken und alle Sorgen einfach weglächeln soll; ist doch alles gar nicht so schlimm, es kommt nur auf die richtige Einstellung an. Es fühlt sich so an, als würden sie mein Leben von der Seitenlinie aus kommentieren. Wie ein Trainer am Spielfeldrand, der mich anfeuert. Oft ignoriere ich solche Sprüche einfach. Aber gerade wenn es mir nicht gut geht, finde ich sie wahnsinnig nervig. Seltsam, wo es doch genau diese Situationen sind, in denen sie mich aufmuntern wollen.

Manchmal habe ich aber mit Problemen zu kämpfen, die ich nicht einfach weglächeln kann. Und ich glaube, dass solche Sprüche dem einfach nicht gerecht werden können. Ein Leben passt nicht in Kalendersprüche. Ja, es gibt Situationen, in denen das bekannte Modell funktioniert: „aufstehen, Krönchen zurechtrücken, weitergehen“ Aber wenn es existenziell wird, wenn es um tiefen Schmerz oder wirkliche Ängste geht – dann können diese netten Sätze nur vertrösten. Was ich in solchen Momenten brauche, ist aber etwas anderes. Ich will mich gesehen und ernstgenommen fühlen. Echter Trost heißt eben nicht, vertröstet zu werden. Nicht jedes Problem löst sich mit der richtigen Einstellung in Luft auf. Und nicht immer kann ich einfach so aufstehen und weitermachen. Das ist mir auch im Umgang mit anderen wichtig. Dass ich ihre Sorgen nicht mit Kalendersprüchen wegwische, sondern sie ernst nehme. Auch wenn das manchmal heißt, dass ich nichts anderes tun kann, als da zu sein und den Schmerz oder die Angst mitzutragen.

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