SWR2 Wort zum Tag

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29OKT2021
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Der Anblick hat mich ziemlich schockiert. Ganze Hänge von abgestorbenen Fichten! Die heißen und trockenen Sommer der letzten Jahre haben die Bäume so geschwächt, dass der Borkenkäfer leichtes Spiel hatte. Vor allem die Monokulturen der Forstwirtschaft sind davon stark betroffen. 

Unwillkürlich habe ich da an den Zustand meiner – der katholischen Kirche denken müssen. Der religiöse Grundwasserspiegel ist abgesunken. Glaubenswissen und Glaubenspraxis verschwinden immer mehr. Und die Skandale um den sexuellen Missbrauch und seine Aufarbeitung haben der Glaubwürdigkeit der Kirche stark zugesetzt. Über Jahrhunderte lebten wir selbstverständlich in einer christliche Kultur. Nun ist sie dabei abzusterben. Das hat vielfältige Gründe. Einer davon - für mich ein entscheidender:  Es gibt auch in der Kirche eine gewisse religiöse Monokultur. Die Kirche ist von und auf Jesus Christus gegründet. Das stimmt. Aber wie seine  Botschaft verkündet wird, welche Konsequenzen sie für das Leben hat und welche Ausdrucksformen dieser Glaube findet, das wird seit Jahrhunderten von Papst und Bischöfen – also zölibatär lebenden Männern - festgelegt. Daraus ist eine eindrucksvolle religiöse Kultur mit großen Traditionen entstanden. Aber die Anzeichen mehren sich, dass am Ende nur noch eine vertrocknete, tote Struktur übrig bleiben könnte – wie die toten Stämme in den einst so stattlichen Wäldern.

Bei den Förstern hat ein Umdenken stattgefunden, weil sie erkannt haben, dass Monokulturen nicht sehr widerstandsfähig sind. Deswegen versuchen sie nun, mehr Mischwälder zu kultivieren. Ich glaube, dass auch in der Kirche eine Erneuerung möglich ist. Aber nur dann, wenn man mehr Vielfalt zulässt: Frauen, die predigen und am Altar stehen; Laien, die mitsprechen dürfen, etwa bei Bischofsernennungen. Vor allem aber erwarte ich mir, dass alle, die Kirche sind, sich für die Menschen ehrlich interessieren. Denn das hat Jesus getan. Er hat mit ihnen zusammengelebt und gefeiert. Das war sein Verständnis von Glauben. Er hat nicht nur belehrt und festgelegt, was richtig und falsch ist, sondern aufmerksam hingehört. Und so hat er mit den Menschen entdeckt, wie Gott in ihrem Leben vorkommt.

Es braucht in meiner Kirche viel mehr Mut, den Glauben einfach wachsen zu lassen. Menschen suchen nach einem Sinn für ihr Leben, sie setzen sich für Gerechtigkeit ein, sie sehnen sich nach Frieden und Versöhnung. Sie sind bereit, ihren Lebensstil für die Bewahrung dieser Welt zu ändern. Das ist der Humus, aus dem neue religiöse Erfahrungen und Ausdrucksformen wachsen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34148
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