SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

03OKT2021
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Was unterscheidet und verbindet

Wenn ich an die Deutsche Einheit denke, dann fallen mir vor allem Situationen ein, die mit Menschen zu tun haben. Unsere Heimatgemeinde hatte eine Partnerschaft mit einer Kirchengemeinde in Dresden. Da sind wir öfters hingefahren. Über die damals streng abgeriegelte Grenze. Haben erlebt, wie Menschen in der DDR ihren Glauben unter schwierigen Bedingungen leben mussten. Wenn wir da waren, dann hat unsere Gastfamilie abends das Radio besonders laut angemacht. Damit wir uns etwas freier unterhalten konnten. Und unsere Eltern haben uns eingeschärft, dass wir uns an der Grenze oder auf der Straße unauffällig verhalten sollten.

Später dann, nach dem Fall der Mauer, kamen uns die Leute aus Dresden besuchen. Einheit, Wiedervereinigung, hat da ein Gesicht bekommen. Plötzlich war ein Austausch möglich, ein Hin und Her.

Was mich bis heute geprägt hat: Einheit war da immer mehr als Vereinheitlichung, als Gleichmacherei, als Einheitsbrei. Gerade vor der Wiedervereinigung habe ich erfahren, Einheit ist ganz eng verbunden mit einer Vielfalt. Das Leben unserer Gastfamilie in der DDR und mein Leben und das Leben meiner Familie damals in der Bundesrepublik, es war ganz anders. Unsere Sprache, die Wohnung, die Kleidung, das unterschied sich ziemlich. Was uns aber verbunden hat, was uns Einheit geschenkt hat, das war der gemeinsame Glaube. Aber auch den haben wir unterschiedlich gelebt. Für unsere Gastfamilie in Dresden war der Glaube auch Widerstand gegen das Regime, eine Lebenskunst, er schweißte Menschen zusammen. In den Gottesdienst gehen, bei der Jugendarbeit mitmachen, sich mit anderen in der Kirche treffen, das war immer riskant und ein Statement. Das erforderte Mut. Mein Glaube war dagegen selbstverständlich, unproblematisch, erforderte viel weniger Überzeugung.

Ich habe erlebt: Zusammengehören, eine Einheit bilden und zugleich verschieden sein, vielfarbig und vielfältig sein, das geht zusammen. Gerade der Glaube zeigt das. Und so verbinde ich mit der Einheit - auch heute mit der deutschen Einheit - nicht Einheitlichkeit. Ganz im Gegenteil. Aus meinem Glauben heraus ist mir bewusst, dass Einheit und Vielfalt unbedingt zusammengehören.

Verschieden sein und zusammengehören

Heute, am Tag der Deutschen Einheit, ist der Begriff der Einheit ganz präsent. Dass Einheit und Vielfalt zwei Seiten einer Medaille sein können, darum geht es heute in den Sonntagsgedanken in SWR 4.

Schon in den Schöpfungserzählungen der Bibel findet sich das Thema der Einheit. Da wird erzählt, dass Gott einen Menschen schafft. Einen einzigen. Und schnell muss Gott aber einsehen: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.

Kennen wir ja selber. Es tut gut, sich mit anderen auszutauschen. Mit anderen zu quatschen, zu essen, gemeinsam etwas zu unternehmen. Klar, oft ist es auch gut, mal alleine zu sein. Aber eben nicht immer.

Und so lässt Gott den Menschen einschlafen, nimmt etwas aus einer Seite und schafft daraus einen zweiten Menschen.

In den meisten Bibelübersetzungen schafft Gott diesen zweiten Menschen aus einer Rippe. Im Hebräischen aber ist eigentlich von der Seite des Menschen die Rede. Gott teilt sozusagen den Menschen, macht aus dem einen Menschen zwei. Trennt die ursprüngliche Einheit auf. Der eine, ganze Mensch, er bekommt einen zweiten Menschen an die Seite gestellt. Und zusammen, in Gemeinschaft, können Menschen das Leben bestehen.

Der biblische Text ist allerdings auch da ziemlich eindeutig: Einheit ist gut, aber Einzigkeit tut nicht gut. Menschen brauchen Gemeinschaft. Brauchen andere Menschen. Erst wenn es eine solche Gemeinschaft gibt, dann ist die Schöpfung komplett. Das heißt aber auch: Einheit braucht Verschiedenheit. In der Schöpfungserzählung wird das dadurch deutlich gemacht, dass Gott zwei unterschiedliche Menschen schafft: Frau und Mann. Sie stehen sozusagen symbolisch dafür, dass Menschen ein Gegenüber brauchen, jemanden, der anders ist, als sie selbst.

Ich lese das so: Einheit braucht Vielfalt, Vielfarbigkeit. Das will ich nicht vergessen, heute, am Tag der Deutschen Einheit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34047
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