Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01MAI2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Früher einmal hing er in vielen Wohnungen. Der gute Hirte mit einem Schaf über den Schultern. Die Geschichte, die Jesus sich dazu ausgedacht hat, ist kurz und schnell erzählt. Da hat ein Mensch hundert Schafe. Aber eines geht verloren, verirrt sich, bleibt zurück oder läuft in die andere Richtung. Sofort begibt sich der Hirte auf die Suche. Die 99 lässt er, wo sie sind. Und sucht so lange, bis er das fehlende Schaf gefunden hat. Dann trägt er es zurück und kommt heim. Seine Freude ist so groß, dass er auch seinen Freunden und Nachbarn davon erzählen muss.

Auch wenn wir heute Menschen nicht mehr ohne weiteres mit Schafen vergleichen – es ist doch offensichtlich, dass es hier um die Menschen geht. Und um die Menschlichkeit. Die Botschaft Jesu ist ganz eindeutig: Keiner wird zurückgelassen. Jeder einzelne Mensch zählt so viel wie alle anderen zusammen. Rein mathematisch betrachtet, ist neunundneunzig nicht nur größer als eins, es ist auch gleich neunundneunzig Mal größer. Aber größer bedeutet eben nicht besser oder wichtiger. Wenn es um Menschen geht, dann rechnet Gott nicht. Er sieht jedes einzelne Leben. Und wenn jemand verloren geht, dann fehlt er auch der Gemeinschaft. Deshalb muss der Besitzer der Schafe offensichtlich gar nicht erst überlegen, ob er dem einen nachgeht oder nicht. Natürlich könnte der Herde in der Zwischenzeit Schlimmes geschehen. Doch das Wohl eines Einzelnen wiegt so schwer wie das Wohl vieler.

Wie gut, wenn einer nicht rechnet, ob es sich lohnt. Und wie gut, wenn Menschen das nachmachen: Nachgehen und suchen statt sich abzuwenden. Keinen aufgeben. Schwache schützen. Alle im Blick haben und nicht nur die Mehrheit.

Das ist eine wichtige Botschaft für Entscheidungen in Zeiten der Pandemie, aber nicht nur dann. Die kurze Geschichte Jesu fragt, wie wir alle zusammenleben wollen. Das Bild vom guten Hirten muss nicht im Wohnzimmer hängen, aber im Kopf sollten wir es haben: Es sind hundert und keiner weniger. Neunundneunzig sind nicht genug.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33000
weiterlesen...