SWR4 Sonntagsgedanken

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07MRZ2021
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Wofür Regeln da sind

Regeln sind das Thema dieser Tage. Was ist erlaubt? Was ist verboten? Was darf ich - und was nicht? Fast jeden Tag stelle ich mir im Moment diese Fragen.

Dabei erfahre ich: Regeln beschränken. Sie schreiben mir vor, was zu tun und was zu lassen ist. Und oft genug ärgert mich das. Ich sehe manchmal nicht ein, warum ich eine Regel befolgen soll. Gerade auch, weil mir doch manche Vorschriften widersinnig erscheinen. Und weil sie meine Freiheit begrenzen.

Allerdings: Das Virus selbst schränkt meine Freiheit radikal ein. Setzt mir Grenzen. Vor allem im Miteinander. Denn potentiell jede und jeder kann andere anstecken. Und das macht Angst. Ich wechsle die Straßenseite, wenn mir jemand entgegenkommt, ich rede mit den Nachbarn nur noch auf Entfernung. Ich besuche meine Mutter nicht. Das Virus bedroht also nicht nur meine Gesundheit, sondern auch meine Freiheit. Weil es keine Freiheit geben kann, wenn mich etwas bedroht oder mir Angst macht.

Wie kann ich mit dieser Situation gut umgehen? Dafür braucht es halt auch Regeln. Viele davon habe ich bereits verinnerlicht: Masken tragen, Abstand halten, auf Hygiene achten. Sicher, auch diese Regeln schränken ein. Aber sie wirken zugleich gegen das Virus der Angst und der Ohnmacht. Setzen ihm Grenzen. Regeln ermöglichen damit Leben – selbst jetzt, in Zeiten der Bedrohung. Wenn wir also um Vorschriften streiten, dann geht es vor allem darum, welche richtig sind. Denn Regeln brauchen wir auf jeden Fall.

Das zeigt sich in allen Lebenssituationen - nicht nur in Coronazeiten. Regeln, gute, sinnvolle Vorschriften helfen, dass wir miteinander leben können. Sie haben also einen Sinn. Denn wenn sich alle daran halten, dann kann ich das Handeln anderer besser einschätzen. Ich brauche keine Angst zu haben. Kurz: Ich werde frei. So paradox das klingt: Freiheit ist nur möglich, wenn es Regeln gibt, an die sich alle halten.

Deshalb sind sie zur Zeit so umstritten. Weil sie eben beides machen: Sie stressen mich und schränken mich ein, aber sie helfen mir auch. Klar ist allerdings: jedes Zusammenleben braucht Regeln. Sonst mündet es im Chaos und in der Unsicherheit.

 

 

Freiheit braucht Regeln

Regeln sind im Moment ein wichtiges Thema. Sie schränken ein – und ermöglichen Freiheit. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken.

Wie das mit den Regeln funktioniert, zeigen ganz exemplarisch die Zehn Gebote. Bis heute gilt der sogenannte Dekalog als die gängige Moral der Bibel. Bis heute haben diese zehn Leitsätze nichts von ihrer Faszination verloren. Zu Recht. Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, nicht die Ehe brechen, die Eltern achten: Das sind Grundregeln elementarer Menschlichkeit. Aber: Es sind Regeln – Regeln, die einschränken und zwingen. Sie stehen meiner Freiheit entgegen. Sie sagen mir, was ich alles nicht darf.

Doch ganz so einfach ist das nicht. Vor allem im Judentum ist das erste Gebot gar keine Regel. Als erstes Gebot gilt hier ein Satz, der vor allen konkreten Vorschriften steht: „Ich bin dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Ex 20,2; Dtn 5,6)

Was hat das mit den Geboten zu tun? Der Satz gilt als eine Art Überschrift. Er macht deutlich, wie die Regeln zu verstehen sind. Ohne diese Überschrift ist der Dekalog ein Dokument der Unterdrückung. Mit der Überschrift aber entpuppen sich die zehn Leitsätze als kurzes Regelbuch für ein freies Leben. Warum? Die Bibel erzählt, dass die Hebräer unterdrückt sind. Sie werden in Ägypten als Sklaven gehalten. Doch mit Gottes Hilfe gelingt ihnen die Flucht. Sie sind frei. Eine Frage aber stellt sich schnell nach dieser Befreiung. Nämlich: Was garantiert unsere Freiheit auch in Zukunft? Und da kommen die Zehn Gebote ins Spiel. Sie lassen sich als Grundregel verstehen, die die Freiheit sichert. Nicht blind allen Moden und Göttern hinterherlaufen, zur Ruhe kommen, sich um den anderen kümmern, Leben lassen, treu sein, einander achten: Das sind ganz elementare Regeln für ein gutes Leben. Es sind Gebote, die die persönliche Freiheit einschränken. Aber gerade dadurch sichern sie die größtmögliche Freiheit für alle.

Das mache ich mir in diesen Zeiten immer wieder bewusst. Freiheit funktioniert nur, wenn es Regeln gibt, an die sich alle halten. Über die richtigen Regeln können wir aber trotzdem streiten.

 

 

 

Ex 20, 1–3.7–8.12–17

In jenen Tagen 1 sprach Gott auf dem Berg Sínai alle diese Worte: 2 Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. 3 Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. 7 Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht. 8 Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! 12 Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt! 13 Du sollst nicht töten. 14 Du sollst nicht die Ehe brechen. 15 Du sollst nicht stehlen. 16 Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. 17 Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren. Du sollst nicht die Frau deines Nächsten begehren, nicht seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel oder irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.

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