SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

21FEB2021
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„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ (*)

Ich glaube, so oft wie dieser Bibelspruch wird kaum ein anderer zitiert. Die dann aufgeführten Gegensätze klingen einfach, und doch verweisen sie auf eine tiefe Lebensweisheit: Es gibt eine „Zeit zu gebären und eine Zeit zu sterben, Zeit zu pflanzen und Zeit, Gepflanztes auszureißen. …. Zeit zu weinen und Zeit zu lachen, Zeit zu trauern und Zeit zu tanzen .… Zeit zu umarmen und Zeit, das Umarmen zu meiden.“ Gerade das erleben wir aktuell. So etwas wie eine Dauer-Fasten-Zeit, was Umarmungen betrifft! Auch wenn der biblische Autor sicher nicht die Abstandsregeln gemeint hat.

Ich beobachte, dass die Einschränkungen während der Corona-Pandemie meinen Alltag verändert haben. Ich nehme bewusster „Zeit“ wahr und was ich aus ihr mache.
Nicht alles hat sich verändert. Ich stehe auf, gehe ins Bad, frühstücke. Aber mein Weg zur Arbeit ist anders. Statt langer Wege gehe ich online. Statt an der Kaffeemaschine auf alle Besprechungsteilnehmer zu warten, sitze ich jetzt allein vor dem Bildschirm im virtuellen Warteraum. Ich verbringe mehr Zeit zu Hause. Aber habe ich deshalb mehr Zeit? Zum Aufräumen, zum Spazierengehen? Mehr Zeit zum Telefonieren mit Freunden, mehr Zeit für meine Frau?
Nicht wirklich. Deutlicher als früher merke ich, wie subjektiv Zeit ist. 60 Minuten sind ewig, wenn ich warten muss. Eine Stunde vergeht wie im Flug, wenn ich beschäftigt bin. Obwohl ich denke, ich müsste doch viel mehr Zeit haben, rast die Zeit und vieles bleibt unerledigt. Oft frage ich mich abends, wo ist denn die Zeit heute wieder geblieben? Wieder ein Tag Lebenszeit!

Eins der Dinge, die mich diese Pandemie gelehrt hat: die Zeit als Geschenk wahrzunehmen. Meine Lebenszeit und die Lebenszeit anderer. Ich glaube, Zeit zu schenken oder geschenkt zu bekommen ist das Wertvollste, das es gibt. Das nehme ich in den letzten Monaten immer bewusster wahr. In der Pandemie meine Lebenszeit als Geschenk Gottes zu genießen. Es ist für mich eine spirituelle Übung. Gerne meditiere ich dazu die eingangs zitierte Bibelstelle: „Es gibt die Zeit zu suchen und Zeit verloren zu geben, Zeit zu bewahren und Zeit wegzuwerfen. … Zeit zu schweigen und Zeit, Worte zu machen. …“

(*Kohelet Kapitel 3, in der Lutherbibel ist es „Der Prediger Salomo“;Bibel in gerechter Sprache 2006)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32653
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