SWR4 Sonntagsgedanken

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13DEZ2020
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Wer bin ich?

Wer bin ich? Die Frage beschäftigt wahrscheinlich schon so lange, wie es Menschen gibt. Und sie beschäftigt wohl auch heute noch jeden.

Wer bin ich? Eigentlich eine einfache Frage. Denn wenn ich irgendwo neu bin, habe ich eine ganz einfache Antwort parat. Wer ich bin? Thomas Weißer. Ich nenne meinen Namen, vielleicht noch woher ich komme, was ich beruflich mache, oder ob ich Familie habe. Das reicht fast immer. Mein Gegenüber weiß dann, wer ich bin.

Der Name spielt offensichtlich eine zentrale Rolle. Er ist wichtig für die Identität, für das, was ich bin. Aber da gibt es ein kleines Problem. Meinen Namen habe ich mir nicht selbst gegeben. Meine Eltern haben ihn ausgesucht und ich muss mit ihm leben. Das heißt: Wer ich bin, das wird auch durch andere bestimmt. Durch die Beziehungen, in denen ich lebe.

Heute wird in den katholischen Gottesdiensten ein Text gelesen, der genau um dieses Problem kreist: Wer ich bin - und was andere damit zu tun haben. In diesem Text tritt Johannes der­ Täufer auf. Eine zentrale biblische Figur. Johannes ist sozusagen der Star der Vorweihnachtszeit. Er weist auf Jesus hin, ebnet ihm den Weg.

Wer ist dieser Johannes? Johannes tauft. Er tauft Menschen, die am Fluss Jordan zu ihm kommen, die nach sich und ihrem Platz in der Welt fragen. Er tauft Menschen, die ihr Leben ändern wollen, die umkehren wollen. Menschen, die eine Antwort suchen auf die Frage, wer sie sind.

Aber diese Menschen wollen auch wissen, wer dieser Täufer ist. Wollen ihm einen Namen geben. Wollen aus ihm einen Messias machen, den erhofften Retter der Welt. Oder sehen ihn als Elias, als einen, lange ersehnten, Propheten. Es sind andere, die Johannes sagen, wer er sein soll. Erst als der Täufer alle Namen ablehnt, da kommt ihnen die Idee, zu fragen, wie er sich selbst sieht.

Eine Erfahrung, die ich auch mache. Ich muss mich immer wieder durch das Dickicht der Vorstellungen und Erwartungen anderer kämpfen. Muss mir selbst klar werden, wer ich bin. Und nicht einfach die Namen und Klischees von anderen übernehmen. Ich finde: Eine ganz schön schwere Aufgabe. Aber wenn sie gelingt, dann ist das wunderbar. So wie der Satz, den Johannes über sich selbst sagt: "Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft". Ein starker, bildhafter Name.

Zu sich selbst kommen

Wer bin ich? Eine simple Frage. Aber umso schwerer scheint es, darauf eine Antwort zu finden. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken.

Wer bin ich? Dass die Frage viele Menschen umtreibt, kann man im Netz sehen. Da gibt es unzählige Anleitungen, genau diese Frage zu beantworten. Selbstsein in fünf Schritten, Leitfaden mit 50 Fragen zur Selbstfindung, in sieben Minuten zum eigenen Ich.

In all diesen Ratgebern wird ganz ähnlich vorgegangen. Es geht darum, die große Frage "Wer bin ich?" in viele kleine Fragen zu zerlegen. Fragen wie: Was sind meine Stärken? Wo habe ich Schwächen? Was will ich eigentlich? Wofür will ich meine begrenzte Lebenszeit wirklich nutzen? Wer will ich sein?

Ich finde diese kleinen Fragen hilfreich. So stehe ich nicht vor einem Riesenberg. Wer bin ich? Das ist so groß. Das schließt unendlich viel ein. Wer ich zum Beispiel als Kind gewesen bin. Oder wie ich mich heute selbst sehe. Oder wie ich in bestimmten Situationen reagiere. Und noch mehr Aspekte kommen hinzu: Ob ich mich mag, so wie ich bin und ob ich überhaupt weiß, wer ich denn am liebsten sein möchte.

Was für mich wichtig ist, neben diesen Fragen: Dass ich nicht den Kopf verliere, weil ich einfach nicht rauskriege, wer ich bin. Sondern dass ich mich jeden Tag mit mir selbst anfreuden kann. Das ist schon schwierig genug.

Johannes der Täufer lebt das vor. Und ist selbst eigentlich nur ein kleines Licht. Sicher: Bevor Jesus auftritt, ist er einer, zu dem die Menschen in Scharen kommen. Aber er selbst weiß: Nach Jesus spiele ich keine Rolle mehr. Wenn der auftritt, ist meine Zeit vorbei. Was ich stark finde: Johannes macht seinen Frieden damit. Wer bin ich? Auf die Frage gibt er eine für sich überzeugende Antwort: Ich bin jemanden, der für eine Zeit lang eine Funktion erfüllt, und für einen anderen den Weg bereitet.

Wer bin ich? Die Antwort auf diese Frage muss also keineswegs gewaltig ausfallen. Sie kann auch so lauten: Ich bin der, der ich bin - und das ist genau richtig. Ich muss kein Superstar sein, etwas Besonderes erfinden, Politik machen, sportliche Erfolge einheimsen. Vielleicht bin ich gerade an dem Platz, an dem ich bin, der Mensch, den es jetzt und hier braucht. Das ist auch eine Antwort auf die Frage "Wer bin ich?", nämlich zu sagen: "Ich bin genau der, der ich bin. Ich bin genau die, die ich bin.“

 

Text: Joh 1, 6-8.19-28

6Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. 7Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. 8Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. 19Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, 20bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias. 21Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. 22Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst? 23Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat. 24Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. 25Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet? 26Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt 27und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. 28Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.

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